Die Kohlmeise, frech, geschickt, kühn, manchmal ein bisschen streitlustig, im wunderschönen Federkleid. Welcher Vogelliebhaber hat sich noch nicht über die regen Kerlchen am Futterhaus gefreut und amüsiert. Neben Blaumeisen, Grünlingen, Spatzen und Kleibern gehören sie zu den ganz verlässlichen Kunden unseres Futterbüffetts. Und darum sollten sie natürlich auch einen Platz in meiner Vogelkollektion erhalten, noch dazu bei diesem farbenprächtigen Federkleid! Und dabei sehen wir nicht einmal die ganze Pracht: Vögel nehmen mehr Farben wahr als wir Menschen, sie sehen auch in den ultravioletten Bereich hinein und bei Blaumeisen z.B. gibt es schon wissenschaftliche Studien über ihre ultravioletten Federn am Köpfchen.
Aber zurück zu meiner Kohlmeise, auch ohne Ultraviolett gibt es da schon eine Menge Farben zu sehen und die Entscheidung war schwer. Wie man auf den Fotos unten sieht ist mein Farbauszug etwas giftig ausgefallen, entsprechend poppig waren meine Stoffmuster, aber zufriedenstellend war das alles nicht. Wie ich überhaupt bemerken muss: Es ist sehr schwierig die sensationellen, oft kühnen, dann wieder fein abgestimmten Nuancen im Federkleid, das die Natur erschafft, gut umzusetzen.
Die Double-Face Jacke habe ich eigentlich erst im Nachhinein meinen Kohlmeisen gewidmet und das kam so: Ich hatte ursprünglich ganz was anderes (völlig vogelunabhängiges) vor mit diesem schönen Double, aber wie das so ist: Für Schnitt 1 war der Stoff zuwenig (mein Winterkiefern-Schnitt) und Schnittwahl 2 war auch daneben (die Norwegerjacke). Den dritten Schnitt, den ich vor mir liegen hatte, war neu: Die Jacke 3096 von Kwik Sew. Und da Ausschneiden zugegeben einfacher ist als abpausen, entschied ich mich spontan dazu. An die Kohlmeise dachte ich zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht, obwohl der Farbauszug und das Foto neben Specht und Kleiber an der Tür klebte.
Ein, zwei Tage später, die ganz große Motivation zum Jackennähen war verflogen, warf ich wieder einen Blick auf mein angefangenes Projekt. Ich war gerade dabei drei weitere Vogel-Farbauszüge aufzuhängen (mangels anderer Inspiration und Lust), und mir fiel die hübsche Kohlmeise ins Auge und meine Jacke. Ich war sofort begeistert, das eigenartige Gelb und Schwarz waren genau die Farben, die diesen niedlichen Vogel so markant machen. Jetzt war die Entscheidung gefallen. Ehrlich, ich war ganz entzückt und dachte mir sofort: Du denkst zu wenig abstrakt! Damit meine ich, irgendwie wollte ich die Platzierung der Farben, und zwar aller Farben, viel zu konkret nachahmen, was natürlich nicht funktioniert.
Es gibt wunderschöne Farbzusammenstellung im Gefieder dieser Meise, aber die erste und augenfälligste ist eben das Gelb mit dem schwarzen Streifen. Das mit dem schwarzen Bruststreifen hat bei der Kohlmeise eine eigene Bewandtnis: Ein breiter Streifen signalisiert „Ich bin ein starkes Männchen“ (diese Botschaft geht an Weibchen und Männchen- was noch nicht heisst, dass die Damen immer dem Macho den Vorzug geben.) Ausserdem je besser das Jungtier zu Beginn mit grünen Würmchen ernährt wird, umso besser entwickelt sich die Farbigkeit des Gefieders. Mein Mann hat ein besonders schönes Meisenpaar fotografiert:
Deutlich erkennbar das Männchen mit dem extrem breiten Streifen, beim Weibchen löst sich der Streifen im Gelb des Bauchgefieders auf. Eine gute Kindheit mit ausreichender Ernährung zeigt sich in schönem Gefieder, was wiederum Vitalität und Gesundheit bedeutet. Logisch, dass diese Männchen die größeren Chancen haben. Und, das ist jetzt was für Spinnenfeindinnen: Die Intelligenz der Tiere dürfte mit der Anzahl der gefressenen Spinnen steigen, Spinnen beinhalten eine sehr wertvolle chemische Substanz namens Taurin, die die Gehirnbildung fördert.
Englischen Meisen, die geschickt die Milchflaschen öffneten um an den fetten Rahm zu gelangen, hatten vermutlich spinnenreiche Nahrung. Und Meisen sind bekannt für ihre Lernfähigkeit. Sie lernten den Trick mit der Milchflasche 1921 in der Stadt Swaythling und 1949 wurde dieses Verhalten an hunderten anderen Orten in England, Wales und Irland beobachtet. Vermutlich hatte ein Vogel die Technik beim anderen abgeguckt, eine beeindruckende Demonstration sozialen Lernens.
Kohlmeisen brauchen für ihren Nachwuchs ein sehr großes Revier und beanspruchen und verteidigen es meist lebenslang (bis zu 10.000 Quadratmeter). Trotzdem ziehen sie manchmal mit Schwärmen weiter und lassen ihr Revier unbesetzt. In den Schwärmen gibt es zwar so etwas wie hierarchische Strukturen (Ober- und Untermeisen), dringt der Pulk aber in das Stammrevier eines Schwarmmitgliedes vor, ist der Revierinhaber die unbestrittene Nummer Eins. Dieser Mix aus Gruppenleben und Individualität scheint ein Erfolgsmodell zu sein. Beliebt waren die munteren Kerlchen zu allen Zeiten, vielleicht einfach deshalb weil sie uns auch im kalten Winter treu bleiben. Wobei diese Wintermeise durchaus ein Winterflüchtling aus noch kälteren Zonen sein kann, Kälte ist relativ.
Fazit: Meine Jacke ist eher folkloristisch angehaucht, mit schwarzen Spitzen über den Nähten. Das hat seinen Grund darin, dass die abgesteppten Nähte auf einer Seite nicht so schön wurden wie erhofft, daher die Kaschierung mit der St. Gallener Spitze. Die Kanten sind, wie man auf den Fotos sieht, mit schwarzen Strickbändern eingefasst, eine schnelle Möglichkeit für einen sauberen Saum. Der Stoff ist wunderbar weich und herrlich warm.
Stoff: Double gekauft bei myTex
Schnitt: Kwik Sew 3096
Verlinkt zu AWS, DDD, SewLaLa, CreateInAustria, WOF.

Ja, manchmal ist man zu verbissen und so eine gedankliche Pause eröffnet einem doch wieder neue Denkräume! Und du hast mich gerade schwer für Kohlmeisen begeistert, deine Ausführungen waren sehr interessant! Hat das Weibchen dann eigentlich weniger Würmchen abbekommen oder ist der Streifen eher Ein Unterschied der Geschlechter?
Liebe Grüße
Marta
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Ich hab das ein bißchen schlecht formuliert und jetzt den Text ausgebessert, das mit den Raupen hat mit der Gefiederfärbung zu tun. Liebe Grüße Silvia
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Deine Jacke ist toll geworden! Das Vorgehen von der Naturform zur Abstraktion zu finden ist schon professionell. Die Verwendung der Spitze gefällt mir besonders, denn sie imitiert dieses Fiedrig-Faserige. Die ebenfalls schwarze Mütze macht die Sache nach meinem Empfinden allerdings schon wieder etwas streng. Den Informationsgehalt deiner Posts schätze ich sehr. Daran dürfte man sich gern ein Beispiel nehmen! Regina
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Danke, ich geb zu, ich weiß noch nicht genau womit sich die Jacke gut kombiniert, zuviel Schwarz ist zugegeben sehr streng. Liebe Grüße Silvia
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