
Tracht ist der Themenschwerpunkt für September bei Karlotta Pink: Sabine hat ein sehr schönes Vintagedirndl aus afrikanischem Shweshwe-Stoff genäht, „Septemberfaden“ verwendet herrlichen Nepalstoff für ihr Kleid, die Grinsekatze nähte aus Shweshwe einen Trachtenrock und ich, ich habe mir eine Reihe von sehr schönen Stoffkombinationen für Dirndlkleider zusammengestellt. Aber immer wieder stellte ich mir die Frage: Gibt es noch mehr Möglichkeiten das Thema zu interpretieren?
Was ist eine Tracht? Dirndl? Ja und nein. Typische Kleider einer bestimmten Region, eines Tales, eines Ortes? Was versteht man unter dem Begriff Tracht? Was assoziiert man spontan damit? Auf jeden Fall wollte ich die Eigenschaften und Zuordnungen von TRACHT genauer erkunden. Das Wort Tracht kommt von „tragen“. Es bedeutet ganz allgemein „das Tragen, das Getragenwerden; das, was getragen wird.“ So gesehen besteht unsere Alltagstracht aus T-Shirt und Bluejean. Das Dirndlkleid oder die Festtagstracht sind nur mehr Anlasskleidung: zur Erntedankfeier, Hochzeit, zum Volkstanzen, für Volksmusikgruppen als Auftrittsgarderobe (für Chöre besonders beliebt bei Auslandsreisen), zum Oktoberfest…
Sehr unterhaltsam reflektiert Gexi Tostmann 1985 über Trachtenpflege und Trachtenerneuerung in ihrem Buch „Das Dirndl“:
„…Im „Musikantenstadl“ etwa treten Volkskünstler und Brauchtumsgruppen in „echten“ Trachten auf, machen „volkstümliche“ Musik und echte Volksmusik- und alles wirkt, zumindest auf mich, künstlich.
Die Protagonisten der „echten“ Tracht sprechen voller Verachtung vom „Phantasiedirndl“, von der „Trachtenmode“, der Begriff „Austrian Look“ kommt ihnen nur mit dem größten Widerwillen über die Lippen. …Die Idee unsere Kleidung in Tracht einerseits und Mode andererseits einzuteilen und den einen Kleidungsstil vom anderen abzugrenzen, kann vielleicht den Theoretiker am Schreibtisch befriedigen- eine Frau mit intuitivem Einfühlungsvermögen wird diese unrealistische „Ideologie“ bestenfalls als geistige Krücke akzeptieren, die möglichst wenig zu benützen ist.“
Trachten als Standeskleider des Nährstands/der Bauern
Kleidung war immer schon äußeres Merkmal, Abgrenzung oder Auszeichnung für verschiedene Stände, Berufe und Würdenträger, man denke nur an die besondere Kleidung der Priester, Mönche, Richter, Soldaten. Das Bedürfnis nach extravaganter, teurer und besonderer Kleidung führte immer wieder zu modischen Extremen und zu gesetzlichen Kleiderordnungen. Vorwiegend waren die Gebote allerdings darauf ausgerichtet in der Kleidung die äußerlich sichtbaren Standesunterschiede aufrechtzuerhalten.
Karl der Große erließ im Jahr 808 eine Kleiderverordnung, die erste für Deutschland. Gegen Ende des 12.Jahrhunderts waren die Preise für Stoffe und Pelze um das Doppelte gestiegen. Klagen wurden laut, dass das Gesinde besser gekleidet sei als die Herrschaft und in allen Ländern folgten eine Reihe von Verboten und Befehlen. Verfolgt man die Erlasse der deutschen Magistrate erstaunt man darüber, um welche Dinge sie sich kümmerten: verschiedenste Besätze, Stoffe, Schnitte wurden den Bürgern untersagt. Bologna gab 1453 eine Kleiderordnung heraus, die sogar das Futter der Anzüge berücksichtigte. Im 14.Jahrhundert verbot Bischof Konrad von Breslau den Klerikern die affenmäßige Kleidung, in der sie sich gefielen. Königin Elisabeth I. erließ 1579 die Luxus-Verordnung und verbot ihren getreuen Untertanen all die Toilettenstücke, die sie selber trug: den Reifrock, die Kröse und anderes. Im 16. Jahrhundert jagte ein Verbot der Kleiderordnung das andere. In der Nürnburger Kleiderordnung von 1657 steht:
“ Die leidige Erfahrung bezeugt, daß fast von allen Ständen, sowohl Manns- als Weibspersonen gantz verächtlich und freventlich der übermäßige Pracht in Kleidern und Neuen Trachten dergestalt unverantwortlich aufs Höchste getrieben worden, daß fast kein Stand von dem anderen unterschieden werden möge.“
Die sogenannten Volkstrachten stellen sich also, geschichtlich gesehen, als das Standeskleid des Bauernvolkes in regional sehr unterschiedlicher Ausprägung dar.
Mit der Französischen Revolution1789 wurden äußerliche Standesunterschiede, wie auch die Kleiderordnung, in weiten Teilen Europas abgeschafft. Der Weg zur Demokratisierung war allerdings noch lange und von dem einen oder anderen Rückfall geprägt. Trachten blieben in ländlichen Regionen eher aus Traditionsbewußtsein und Gewohnheit Bestandteil der Kleidung speziell der älteren Generation. Das Bedürfnis sich von anderen mit seiner Kleidung zu distanzieren (sowohl nach oben als auch nach unten) ist neue, subtilere Wege gegangen.

Trachtengeschichte wird bei uns in Oberösterreich erst ab dem 17. Jahrhundert geschrieben!!! Mit dem 17. Jahrhundert setzten die bewussten Darstellungen der Tracht um ihrer selbst Willen ein und, wenn man genau hinsieht, ist sehr viel Trachtentypisches der Mode dieser Zeit entnommen: Das charakteristische enge (Schnür-)Mieder, der weite Rock (und Unterrock), Spitzen an Ärmeln und Halsausschnitt, der relativ weite Auschnitt, das Spiel mit dem Hervorblitzen des Hemdes/der Bluse, das über die Brust getragene Tuch…
Ich habe antiquarisch das sehr hübsche Buch „Schweizer Trachten“ von Ernst Laur und Kurt Wirth (erschienen 1954) erworben und gelesen(!), darin schreibt er :
…In der Zeit von 1750 bis 1850… begannen die gebildeten reisefreudigen Kreise Europas die ungewöhnlichen Schönheiten der Schweizer Berge zu entdecken; fremde Gäste aber können Vergleiche anstellen und sehen Unterschiede besser als der, der nie über den Rand der nächsten Hügel geguckt hat. Doch auch wißbegierige Schweizer jener Zeit haben gerne Lust- und Erforschungsreisen unternommen, und nicht zuletzt die vielen Maler unter ihnen waren überrascht, wenn sie sahen, wie sie schon nach ein paar Stunden ihrer Wanderung oft einem ganz anders gekleideten Landvolk begegneten… Heute kauft man Trachtenpostkarten- damals mußte man tiefer in den Beutel greifen, bekam dann aber auch etwas schöneres: handkolorierte Kupferstiche, deren Herstellung und Verfielfältigung mit der Zeit zu einem eigenen Gewerbe wurden…“
Das Buch behandelt ausführlich Entwicklung, Blütezeit und Abstieg der Schweizer Trachten und die Versuche der Trachtenverjüngung, Gründung der Museen, Sammlungen und Trachtenvereinigung. Dieser Prozess begann in der Schweiz um 1900. In Oberösterreich erschienen um 1960 „Vorlagen für die zeitgemäße und echte Tracht“, deren theoretischer, historischer Einführungstext mit dem „Erlöschen der Tracht 1935“ endet. (Mit dieser zeitlichen, totgeschwiegenen Lücke befasst sich Sabines Beitrag, ein gutes Video zur Entwicklung der Tracht in Bayern findet sich hier)
Aber ich muss noch einmal kurz zu Ernst Laur zurückkommen. Sein Buch ist mit liebevollen Bildern der vorgestellten Trachten ausgestattet, gemalt von dem Berner Maler Kurt Wirth. Das erste zeigt einen „jungen Bauersmann in Stans“ in der Nidwaldnerbluse. Zu jedem Bild gibt es interessante (und teils etwas romantisierende) Erläuterungen und bei diesem heißt es am Schluss:
„…Nun ist die Nidwaldnerbluse aber vor einiger Zeit gewissen“Sportmodeschöpfern“ in die Augen gefallen, und bedenkenlos haben sie sie zu Blusen für skifahrende Stadtjungfern umgeschaffen. Leider gibt es kein Gesetz zum Schutz der Landestracht, das erlaubt hätte, einen solchen Unfug abzustellen. Man kann nur hoffen, dass diese Mode wieder verschwindet, ehe den Nidwaldner Burschen die Freude an ihrer herrlichen Bluse endgültig vergällt worden ist.“
Ich zeige oben das Bild der Nidwaldnerbluse, und ich gestehe, ich wäre sehr neugierig auf die Umsetzung des „Sportmodeschöpfers“ für „skifahrende Stadtjungfern“. Womit wir wieder bei der Diskussion über echt, richtig, wahr, erlaubt, verboten in der Tracht sind. Darf man sich von Trachten inspirieren lassen? Ein ewiges Dilemma. Gustav Mahler formulierte es so: Tradition ist die Weitergabe des Feuers und nicht die Anbetung der Asche.
Ich bin ein Kind des Austrian Look. Als junge Frau sah ich auf einer Salzburger Messe eine herrliche Modeschau, an die ich immer noch gerne denke. Austrian Look hatte damals gerade Hochsaison. Natürlich war alles Trachtige zu dieser Zeit der aktuellen Mode entsprechend: Überbreite Schultern, extraweite Ärmel, Rüschen, Herzerlknöpfe und Edelweiß … Aber, und das müssen sogar richtige Trachtbewahrer zugeben, Tracht hat immer modische Strömungen aufgegriffen, adaptiert, den eigenen Wünschen angepasst … Louise Witzig belegt das in ihrem „Schweizer Trachtenbuch“ sehr anschaulich. Im einleitenden Teil werden Abbildungen von der Bernertracht vom 18. bis hinein in die zweite Hälfte des 19. Jahrhundets neben die jeweilige Modekleidung gestellt.
Zur Herstellung der Bluse
Typische Elemente europäischer Trachten, die ich zitiere: körperbetonung/enges Mieder, Hervorblitzen der Bluse, reduziert auf den weißen Streifen mit Stickerei. Kreuzstich ist eine der ältesten und in fast allen Volkstrachten zu findende Art der Verziehrung. Meine Inspiration stammt aus dem Buch „Landhausmode selber nähen und sticken“ von Heidi Baumgartner. Mein Motiv ist etwas kleiner geworden, weil ich einige Zählfehler hatte und resignierte.
Als Blusenschnittgrundlage diente mir der Schnitt Ella von So!Pattern. Auf den Fotos zeige ich die zusätzliche senkrechte Teilungsnaht am Vorderteil. Es ging mir vor allem darum eine elegante Lösung für das Ansetzen und Einfügen der Stickerei zu finden. Die Nahtzugabe muss man beim neugezeichneten, halben Mittelteil natürlich einberechnen. Das Original der Bluse hat einen sehr breiten flachen U-Boot Ausschnitt, der ist um cirka 3cm kleiner geworden, auf dem Foto habe ich das neu angefügte Eck markiert.
Der Rückenausschnitt ist ebenfalls tiefer. Wichtig ist einfach, dass man die Schulterbreite von Vorder- und Rückenteil aufeinander abstimmt, das geht auch noch beim Nähen.

Das mittlere Vorderteil ist quer genommen, das schien mir leichter, das Muster verläuft nämlich leicht wellenartig. Außerdem gibt es so einen schönes zusätzliches Gestaltungselement. Die Paspel „ziehen“ eine eindeutige Grenze und akzentuiren gut. Die Bluse wird besser gegliedert und ihre Kontur verstärkt. Die Bluse hat durch die Raffungen am Rücken eine gänzlich neue Form erhalten, ich war überrascht wie gut der Schnitt da mitgespielt hat. Die Schrägbänder am ende der Raffungen diene vor allem dazu den Tragkomfort zu erhöhen (die Enden der einzelnen Gummibänder pieksen nämlich).
Fazit: Ich war überrascht wie schön sich die Stickerei auf weißem Leinen mit dem exotischen Stoff ergänzt.
Stoff: Aborigine Wild Flower Dreaming rot/schwarz gekauft bei Karlotta Pink
Schnitt: Ella von So!Pattern, pattern-gehackt!
Bücher:
- Landhausmode nähen und sticken von Heidi Baumgartner, erschienen 1999 Verlag Rosenheimer
- Schweizer Tracht von Ernst Laur und Kurt Wirth, erschienen 1954 Genossenschaft Silva Bilderdienst Zürich
- Die Mode – (3 Bände) von Max von Boehn erschienen 1976 bei Bruckmann München, heute als zweibändiges Werk im Stiebnerverlag erhältlich
- Das Dirndl von Gexi Tostmann erschienen 1985 im Verlag Kremayr&Scheriau
Servus Silvia!
Ich freue mich, dass du mit der schicken Bluse Ella beim DvD dabei bist! Danke dafür und liebe Grüße
ELFi
LikeLike
Danke! Schön, dass es den DvD gibt! Liebe Grüße Silvia
LikeLike
Liebe Silvia, ich finde mit deiner Bluse ist dir eine schöne Mischung aus traditionellen Elementen verschiedener Völker gelungen, die dir super steht.
LG Elke
LikeLike
Ich war selber angenehm überrascht, dass es so gut zusammengeht. Der Aborigineprint hat so kleine Sternchen, die mich irgendwie an Edelweiß erinnerten…Liebe Grüße Silvia
LikeLike
Wow, ein toller modehistorischer Abriss, und dann noch die Konstruktion deiner Bluse so schön gezeigt. Meist, wenn jemand von echt und unecht, modern oder uralt beginnt zu sprechen, stecken handfeste politische oder Macht-Interessen dahinter. Das gilt für die Kleidung genauso wie für sämtliche Erscheinungen, die sich als Touristenattraktion eignen könnten. Häufig ist die Geschichte des „uralt“ dann erfunden (Eric Hobsbawm: The Invention of Tradition) und dient der Legitimation der Interessen. Ein spannedes Feld, das (nicht nur) Sozialwissenschaftler belegt. Ich finde Deine Austria-Australia Fusion in Form dieser Bluse super gelungen! lg, Gabi
LikeLike
Gut gesagt, das mit echt, unecht und der Tradition ist in jedem Fall ein spannendes Thema. Damit setze ich mich immer wieder und gerne auseinander. Liebe Grüße Silvia
LikeLike