Gastbeitrag von Reinhard

Zur Geschichte der Hutnadel:
In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts waren Hauben, die mit Bändern unter dem Kinn befestigt wurden, eine übliche Kopfbedeckung der Frauen. Ausnahme war nur der Reiterhut, der die Form eines Dreispitzes hatte. Die Kopfbedeckungen in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts war zwar immer noch die Haube, aber es kamen jetzt Stroh-und Filzhüte in Mode. Anfang des 19. Jahrhunderts setzte sich der Frauenhut immer mehr durch. Er wurde, mit den unzähligen Verzierungen, immer größer und voliminöser. Um diese enormen Gebilde auf dem Kopf halten zu können, wurden in der ersten Zeit „verdeckte Nadeln“ benutzt. Kurze Zeit später wurden Verzierungen an der Nadel angebracht. Dies war die Geburtsstunde eines neuen „Modehits“- der Hutnadel.







Die Hutnadel war vorerst der gehobenen Gesellschaft vorbehalten. Es wurden für die Herstellung von Hutnadeln sieben Männer für die verschiedensten Arbeitsabläufe benötigt und durch die erlesenen Materialien, wie Edelsteine, Gold, Silber, Platin und Fensteremail, war dieses Schmuckstück sehr kostspielig.
Die „großen“ Juweliere, wie Cartier, Fabergé und Rena Lalique, waren Juweliere, die den Adel und das aufstrebende Bürgertum mit ihren edlen Kreationen bedienten. Wobei alle bestrebt waren den Titel eines „Hofjuwelier“ zu bekommen. Wie es bei allen anderen Berufen, wie Bäcker, Metzger usw. auch war. Cartier und Fabergé buhlten um die Gunst den Zarenhof zu bedienen. Beide waren gut im Geschäft in diesen Kreisen und hatten auch in vielen Ländern Zweigstellen. Es gibt selbstverständlich auch hochrangige „Künstler“ wie Josef Hofmann, der auf der Mathildenhöhe, dem Jugendstilzentrum, Schmuck entworfen hat. Auch Juweliere aus den deutschen Goldschmiedezentren, wie zum Beispiel Hanau und Augsburg, fertigten Hutnadeln. In dieser Zeit waren die meisten Arbeiten dieser Juweliere Auftragsarbeiten.

Mit Erfindung der Nadelherstellungsmaschine (1832), wurde es möglich, die Hutnadel in größerer Anzahl, mit einfacheren Materialien herzustellen, und so für jederman erschwinglich zu machen. Die Hutnadel war ein unentbehrliches Instrument zum Fixieren des Hutes an oder auf den kunstvollen Aufbauten aus Knoten und Zöpfen. Meist waren mehrere Hutnadeln nötig, die dann von beiden Seiten durch den Hut und das Haar gesteckt wurden. Die Hutnadeln erreichten eine Länge von bis zu 35 cm.

Für den Arbeiterstand kamen die Hutnadeln aus Gablonz an der Neise, der Weltstadt des Glases. Nach dem zweiten Weltkrieg, wurde es wieder Jablonec nad Nisou (in Tschechien) genannt. Dort wurden in großen Mengen Hutnadeln hergestellt und weltweit gehandelt. Diese Hutnadeln waren aus einfachen Materialien, wie gestanztem Blech und Glassteinen, in allen Variationen. Wobei man schon erwähnen muß, dass es sehr aufwendig war, denn die Gürtler mussten erst die Formen ausarbeiten, damit in diesen Mengen gestanzt werden konnte. Auch die Glassteine erhielten Formen in vielfältiger Ausführung. Wenn es einen Modewechsel gab, musste alles, oder zumindesten vieles geändert werden.
Aus Gablonz, stammt auch der Gründer Daniel Swarovski, der allerdings nach Watten in Tirol umgezogen war, um von dort aus das weltweite Imperium aufzubauen. Auch Eisenberg, der nach Amerika auswanderte, bekam seine Glasschmucksteine aus Gablonz. Eisenberg ist für seine voluminösen Broschen bekannt.
Die bürgerlichen Frauen erhoben immer mehr Anspruch auf Selbstbestimmung und schlossen sich Ende des 19. Jahrhunderts zur emanzipatorischen Frauenbewegung zusammen. Sie lebten die Mode der Zeit aus. Dazu gehörte es den „Hut wie ein Mann“ zu tragen. Diese Möglichkeit wurde als ein emanzipatorischer Fortschritt von den Frauen empfunden. Dies war den Männern nicht geheuer. So wurden entsprechend einschränkende Steuern und Verordnungen erlassen. Eine Verordnung über den Erwerb von Hutnadeln sagte aus, dass nur am ersten Tag eines neuen Jahres Hutnadeln gekauft werden dürfen. Dies veranlasste die Frauen, das ganze Jahr über „Nadelgeld“ anzusparen.





Da die Frauen am öffentlichen Leben immer mehr teilnahmen, zum Beispiel bei der Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel, kam es zu Verletzungen anderer Verkehrsteilnehmer durch die Hutnadeln. Darauf hin wurde eine Verordnung erlassen, dass nur noch Hutnadeln mit Schutzkappen getragen werden dürfen ( § 23 Polizeiverordnung von 1912). Wollte eine Frau, in der Pferdebahn mit Hutnadel ohne Schutzkappe mitfahren, so musste Sie diese bei dem Schaffner abgeben, oder durfte nicht mitfahren. Auch kam es zu großen Verärgerungen im Theater, da es nicht üblich war, den Hut während der Vorstellung abzunehmen.
Aber nicht nur um Hüte zu befestigen wurde die Hutnadel benutzt, sondern auch um allzu aufdringliche Verehrer auf Abstand zu halten und sich zu verteidigen. Wobei eine Verletzung nicht ausgeschlossen war.
Von den Suffragetten erzählt man, dass sie bei Gerichtsverhandlungen die Richter mit Hutnadeln bedrohten, um ihrem Rechtsempfinden Nachdruck zu verleihen.
Mit den langen Hutnadeln, konnte man auch die juckende Kopfhaut vom quälenden Reiz befreien.

Was die kreative und künstlerische Schöpfung anbelangte, kam die Hutnadel im Jugendstil zu ihrer größten Blüte. Kurz vor und nach dem zweiten Weltkrieg änderte sich die Haar- und Hutmode radikal. Kurzhaarschnitt und praktische eng am Kopf anliegende Hüte (z. B. die Cloche) der zwanziger Jahre machten Hutnadeln für die Befestigung des Hutes unnötig. In den1950iger Jahren wurden wieder kleine Hutnadeln als Zierat für die Damenhüte und Kappen verwendet.
Heutzutage werden üblicherweise keine Hutnadeln verwendet, es sei denn in den erlesenen Kreisen des britischen Adels. Königin Elisabeth II besaß Hutnadeln passend zu jedem Hut. Die auch mit dem jeweiligen Hut aufbewahrt wurden. Darüber hinaus hatte sie eine kleine Sammlung aufwendig gestalteter, mit Diamanten und Mondsteinen verzierte, Stücke. Die passende Hutnadel rundet das perfekte Erscheinungsbild ab.
Ausgefallene Hutkreationen und Fascinators werden heute, wenn benötigt, mit Gummi, Reifen oder Steckkämmen befestigt.

Über die Sammlung: Wie es dazu kam: Seit 40 Jahren sammelt Reinhard Hutnadeln und befasst sich mit deren Geschichte. Zum Sammeln kam er durch seine Frau, die das Klöppeln als ihr Hobby erkoren hat, und da sie lange „Nadeln“ suchte, um die vielen Klöppel zu separieren. Da aber die Stahlnadel rostete, war sie für diesen Zweck ungeeignet. Das Interesse war geweckt und so fing Reinhard an weiter zu sammeln und besitzt jetzt 1600 Hutnadeln. Er wollte aber auch wissen, was es so alles über die Geschichte und Entstehung der Hutnadel zu erfahren gibt und verfügt mittlerweile um ein umfangreiches Wissen dazu.
Die gezeigten Hutnadeln stammen sämtlich aus der Sammlung von Herrn Reinhard, der auch die Fotos zur Verfügung gestellt hat.
Die von mir dazwischen gefügten behüteten Damen zeigen Ausschnitte aus Modestichen von Der Bazar Illustrierte Damen-Zeitung , 1880- 1890 aus meiner eigenen Sammlung.
Danke f. den lieben Geschichts-Unterricht in Sachen Mode. Irgendwie ’schmecken‘ diese per Blog und von jemand Anderem serviert eindeutig viiiiel besser :-D !
Ansonsten und so sehr mir gar manche sehr huebsche Hutnadel entlang meines doch relativ ’stark behutetem Lebens‘ ins gierige „Auge stach“: nur moeglich, wenn man mir auch die dazu noetige Haarpracht/-Menge verkaufen koennte = Baender und dergleichen it is (groooooooss-seufz)!
Aber: zum Kloeppeln zu verwenden ist eine wirklich gute Idee; vor allem, wenn das Stueck groesser und damit laengere Zeit auf dem Kissen liegen wird und dieses (oldfahioned/original gefuelle Kissen) ueblicherweise wirklich ein guter ‚Feuchtigkeits-Speicherer‘ ist. Ausserdem sind die unterschiedlichen Koepfe der Nadeln auch sehr gute Sofort-Markierer bzgl. „… wo bin ich letztens stecken geblieben und wie habe ich weiter zu machen…“ mit nur einem Blick.
… als Brosche/Verschluss ist die Eine oder Andere von ‚eigentlich Hutnadeln‘ wenigstens auch manchmal zu nutzen = ‚multi-skilled‘ ist immer ein dominanter Anspruch in meinem Haus (= nicht nur an mich selbst/Mensch!) ;-)
LG, G
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Ja, es war wohl eine üppige (echte oder falsche ) Haarpracht nötig um mit Nadeln den Hut zu befestigen, aber wie du sagst: es gibt auch andere Einsatzmöglichkeiten, liebe Grüße, Silvia
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Hallo „G“,
Also, Hutnadeln zum Klöppeln sind absolut ungeeignet, was ja auch in dem Bericht steht.
Das tragen von Hüten, in dieser Zeit, war auch oft, manchen Frauen nur mit Perrücke oder Haarteilen möglich. Als die Hutnadeln außer Mode kamen, wurden manche schon zu Broschen oder anderen Schmuckstücken verarbeitet.
Herzlichst
Reinhard R.
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Ich kann mich hier nur anschließend. Eine absolut interessante und faszinierende „Geschichtsstunde“, die du da abgeliefert hast. Dieses Thema war für mich fast gänzlich neu. Finde es eigentlich schade, dass dieser Trend die Zeiten nicht überdauert hat. Wobei vielleicht besser so, das kommt mir wie etwas vor, bei dem ich mich wirklich hätte zurückhalten müssen :D
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Also die Geschichtsstunde lieferte Reinhard, ich habe sie nur für unseren Blog aufbereitet. Freut mich, wenn es interessant war. Liebe Grüße, Silvia
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Der Bericht ist eine schöne Ergänzung zu meinem Besuch der Münchner Hutausstellung. Danke!
Tina
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1600 Hutnadeln!? Was für ein Schatz! Vielen Dank für diesen faszinierenden Einblick in ein vergessenes Mode-Accessoire. Ich denke mir gerade, dass die Hutnadeln und ihre Geschichte eine Ausstellung samt zugehöriger Publikation wert wären. Welches Museum könnte man dafür begeistern? Liebe Grüße, Gabi
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Hallo made with Blümchen,
die Antwort kann ich Ihnen geben. Keines, denn ich habe 30 Jahre lang versucht bundesweit Museen dafür zu begeistern. Bekam allerdings nur Absagen mit der Begründung, dass das nicht in ihr Konzept passt.
Herzlichst
Reinhard R.
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Hallo, Versuch doch Mal das Hutmuseum in Lindenberg. Das wäre doch bestimmt eine tolle Sonderausstellung und im Anschluss auch noch ein toller Blickpunkt…
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Besten Dank für diesen schönen Beitrag. In dieser Größenordnung lohnt eine Ausstellung sehr!!!! Wie gern würde ich diese Sammlung betrachten dürfen im Original. Ich glaube man hat noch nicht die richtige Adresse gefunden. Eine temporäre Ausstellung wäre doch schon toll. Ich hoffe da findet ein Umdenken statt und es ergibt sich eine Möglichkeit.
Viele Grüße, Karen
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Hallo Karen, wenn Sie einmal in der nähe von Mainz sind, lade ich sie gerne ein.
Herzliche Grüße
Reinhard
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Für silviafransiska.
Hiermit möchte ich mich recht herzlich bedanken, für das Angebot, einen Gastbeitrag über Hutnadeln zu schreiben. Die hervorragende Gestaltung, hat meinen Beitrag um ein vielfaches Wirken lassen.
All diejenigen, die einen Kommentar geschrieben haben, danke ich auf das Herzlichste.
In freudiger Erinnerung
Reinhard
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