Stoffspielereien: Risse und Schlitze

Frau nahtlust ladet diesmal ein zum Thema Risse und Schlitze. Zuerst dachte ich dabei an zerrissene Jeans oder geschlitzte T-Shirts, jedenfalls irgendsowas in dieser Art. Nur hatte ich weder zu dem einen noch zum anderen Lust. Daher begab ich mich auf Inspirationssuche in eines meiner schönen Bücher. Fündig wurde ich im Buch Stoffmanipulationen (mehr dazu hier). Mir war vage in Erinnerung, dass darin auch verschiedene Ideen mit abgenähten und wiederaufgeschnittenen Elementen vorgestellt wurden. Das wollte ich versuchen, so etwas ließe sich eventuell bei einer Jacke oder Mütze praktisch einsetzen. Ich gestehe, ich denke immer auch an richtige Anwendungen, spielen ist prima, aber verwenden noch besser…

Da ich etwas planlos war, wählte ich ein Foto von einer blühenden Kiefer als Stoffinspiration. Da hatte ich jetzt immerhin eine konkrete Vorgabe und durchstöberte mein Restedepot. Diesmal war etwas flauschiges gefragt: Filz, Wollflies oder dergleichen. Als nächstes schnitt ich eine Schablone, um zumindest gleich große Elemente zu erhalten. Dann habe ich einfach die vier Quadrate zusammengesteckt und genäht. Da wäre etwas mehr Überlegung nötig gewesen: Der flauschigste Stoff sollte eigentlich mittendrin und nicht obenauf sein…Jedenfalls bemerkte ich das erst, als ich beim Aufschneiden war. Außerdem verliert sich der olivgetönte Stoff vollkommen. Beim Nähen zerbrach gleich einmal eine Nadel. Sonst ging das erstaunlich gut mit einem ganz normalen Füßchen.

Das Schneiden war eigentlich das Schwierigste. Die feine Schere war zu schwach, die anderen nicht scharf genug, speziell an der Spitze, sodaß ich letztlich mit der Feinen das erste Loch schnitt und mit meinem Liebling, der großen Schneiderschere, fertigschnitt, selten übrigens drei Stoffe zugleich, meist zwei und dann den Dritten, den gelben Bastefilz, extra.

Was da so entstand, erinnerte mich die ganze Zeit, während ich daran arbeitete, an historische Kleidung der Landsknechte und der Mode aus der Zeit um 1500. Man schnitt Wams und Hose, da wo sie am engsten die Glieder umschlossen, also an den Gelenken der Arme und Beine auf und unterlegte die so entstandenen Schlitze mit anderen Stoffen. Die Zeitgenossen schrieben diese Mode den Schweizern zu, die sich nach ihren glänzenden Siegen über den Herzog von Burgund die erbeuteten kostbaren Kleider anziehen wollten und nicht gewußt hätten, wie sie das machen sollten, bis irgendein ingeniöser Kopf auf den genialen Gedanken kam, seine Kleider aufzuschneiden. Konrad Pellicanus schreibt in seiner Hauschronik (um 1470):“bis dahin hatte niemand buntfarbige zerhauene Kleider gesehen, aber jetzt mußten sich die Schneider daran machen, solche Flickkünste zu lernen, denn die heimkehrenden Soldaten führten allerlei Neuerungen zu Hause ein…“Die Mode des „Zerhauenen“, wie man damals sagte, hatte sich sofort der eleganten Welt bemächtigt. Keine Behörde war imstande ihre Verbreitung zu verhindern.

Andere kreative Ideen und Umsetzungen zum Thema findet ihr hier „Risse und Schlitze“ bei nahtlust


Fazit: Ob das mit der Jacke was wird, weiß ich noch nicht, obwohl es vom Gestalterischen sehr interessant wäre. Wenn, dann jedenfalls in anderer Stoffreihenfolge und auf gar keinen Fall mit hartgepresstem Bastelfilz…

Buch: Stoffmanipulationen von Ruth Singer, erschienen im Stiebner Verlag

Material: Reste

Daniel Hopfer DeutscheLandsknechte Radierung

ZU DEN STOFFSPIELEREIEN

Mach mit, trau dich, sei dabei! Die Stoffspielereien sind offen für alle, die mit Stoff und Garn etwas Neues probieren wollen. Es geht ums Experimentieren und nicht ums Perfektsein, denn gerade aus vermeintlich „misslungenen“ Experimenten können wir im Austausch jede Menge lernen. Lass dich gerne vom monatlich vorgegebenen Thema inspirieren und zeig deine Ideen dazu.

Jeden letzten Sonntag im Monat sind die Stoffspielereien zu Gast bei einer anderen Bloggerin. Dabei kommen wir ohne Verlinkungstool aus: Schreib einfach einen Kommentar mit dem Link zu deinem Beitrag im jeweiligen Blogpost der Gastgeberin. Sie fügt die Links im Lauf des Tages in ihren Beitrag ein – ganz persönlich und individuell.

31.10.2021: „Punkte und Kreise“ bei Schnitt für Schnitt

28.11.2021: „Glitzer tröstet“ bei Tyche


22 Gedanken zu “Stoffspielereien: Risse und Schlitze

  1. Deine Flauschblätter sind prima geworden! Man möchte gerne drüberstreicheln. Die Blätter oben zusammenzuheften ist schlau, so kommt das Gelb richtig zur Geltung. Einen Herbstrock könnte ich mir so gut vorstellen.
    Liebe Grüße, Elvira

    Like

      1. … als aufgesetzte Jacken-Tasche? Dein hier gezeigtes Probe-Stueck bekommt dazu evtl. noch ein ‚Geschwister’chen‘ ? Wie ‚pendantisch/traditionsgetreu‘ Trachten-Stil bist Du? Leichter ‚Janker‘ mit so ’ner Anwendung?

        Weiterer kastiger Schlupf-Pullover/-Ueberwurf mit entweder Mittel-/oder Seitwaerts-Blenden-Einsatz damit?
        Faellt mir hierzu noch eine – mM- absolut brauchbare(re) Anwendung ein: als ‚Gewicht'(s-Borte?) an einem Cape/Tuch-Ueberwurf, damit das Zeug nicht immer bei jedem Windstoss einem auf-/offen-fliegt und damit frieren laesst?

        Aber was auch immer Du damit machst: Dein ‚Start-Dingens‘ hier ist – trotz mir gut vorstellbarer ‚Scheren-Fluchereien‘ (= probatum est auch oefter) schon sehr huebsch geworden und Weiterdenken f. evtl. Einsatz lohnt!

        Like

  2. Ach wie großartig, deine Blütenpracht, und ich finde, die Wirkung ist sehr gut. Klasse, dass auch hier die Schlitze der früheren Mode in Erscheinung treten und Anregung waren! Danke dir fürs Mitwirken und fürs „Aufblühen“ :-)
    LG. Susanne

    Like

    1. Danke, momentan liegt das Muster auf meinem Arbeitstisch. Geschlitze historische Kleidung hat mich schon als Jugendliche fasziniert, nur die Umsetzung war schwierig. Jetzt denke ich mir mit dieser Technik ließe sich durchaus arbeiten. Liebe Grüße, Silvia

      Like

  3. Liebe Silvia,
    die schönen Fichtenblüten sind eine gute Vorlage für Deine aufgeschnittenen Motive, das passt sehr gut. Die dicken Stofflagen aufzuschneiden – ohne zuviel zu schneiden – ist ein Kunststück für sich.
    Interessant finde ich Dein Beispiel für die “ zerhauenen“ Kleidungsstücke, die gleichen den Darstellungen, die ich auch gefunden habe, und datieren auch noch früher.
    Was wssird aus dem Proberechteck entstehen ?
    Liebe Grüße
    Tyche

    Like

    1. Was aus dem Probestück werden könnte, steht aktuell in den Sternen…Vielleicht findet sich noch eine Idee. Ich könnte mir sowas etwa auf breiten Jackenmanschetten vorstellen oder asymetrisch über einen Mantel verteilt…Und was die Bilder betrifft, ich dachte schon, ich finde gar kein passendes historisches Beispiel, dabei habe ich etliche Bücher zum Thema… Liebe Grüße, Silvia

      Like

  4. Diese Landsknechte sind ja unglaublich. Ob die damals in so einer Kleidung wirklich herumlaufen konnten, ohne sich dem Spott auszusetzen?
    Deine Stoffspielereien haben eine schöne Wirkung, hoffentlich findest du noch eine gute Anwendung dafür. Nur so vor mich hinzuspielen fällt mir auch schwer…
    Liebe Grüße
    Christiane

    Like

    1. Hmmm, Dein Raetseln bzgl. „Spott“ ist vermutlich unbegruendet, wenn man bedenkt was den „Mode“ – plus ihre ‚Unterzweigungen‘ – eigentlich ist:
      a) Aaalle liefen ’so‘ herum?
      b) Es war eine ‚Uniform‘ zur Unterscheidung gewisser Berufszweige?
      c) Es war Mittel zum ‚Beweis von Wohlstand‘ ?
      d) Einzelpersonen WOLLEN auffallen indem sie, lustig jetzt die Wirkung/Wendung (?) des Wortes: „a)“ (un!)typisches trugen?

      Ich kann Dir aber zum Thema „Spott“ wirklich bestaetigen: es bedarf wirklich staaarker Nerven sich mitunter den schlimmen Bekleidungs-Diktaturen – egal welcher ‚Aera‘ – zu widersetzen!
      Maenner scheinen hiervon allerdings noch schlimmer betroffen zu sein?

      Like

      1. Mode ist tatsächlich sehr oft diktatorisch…wo doch jeder immer so auf seinem Individualismus herumreitet- und- du hast sehr recht- man muss wirklich mutig sein, will man dagegen schwimmen. Liebe Grüße, Silvia

        Like

    2. Wenn man historische Moden anschaut, denkt man öfter: Wie seltsam. Allerdings gibt es bei uns ja auch öfter seltsame Moden: Hosen, die den Schritt fast bei den Knien haben oder bei denen der Hinter fast bloß liegt, wenn sich der Träger bückt…Ich hoffe übrigens auch, dass ich noch eine Anwendung finde! Liebe Grüße, Silvia

      Like

  5. Oh, das sind schöne Blütenblätter geworden. Das erwähnte Buch mag ich auch sehr. Danke auch für den kleinen historischen Exkurs, diese ungewöhnliche Methode Kleidung durch teilweises Aufschneiden passend zu machen ist ja wirklich sehr besonders ;-) Liebe Grüße

    Like

  6. Eine schöne Spielerei! Deine Überlegung, dass die Arbeiten der Stoffspielereien einen praktischen Wert haben sollen, kann ich sehr gut nachvollziehen – geht mir auch meistens so. Ich hoffe also, dass du auch hier eine schöne Anwendung finden wirst.
    LG, Siebensachen

    Like

  7. Deine „zerhauene“ Fläche ist wunderschön. Danke für die textile Zeitreise, war neu für mich.
    Mit dem Gedanken an eine pragmatische Anwendung sowie Verwendung vorhandener Materialien legt man die Hürde gleich mal 2 Level höher und es braucht mehr Anlauf. Ich kenne das gut, kann da auch nicht aus meiner Haut.
    LG Ute

    Like

  8. „Die Mode des „Zerhauenen“, wie man damals sagte, hatte sich sofort der eleganten Welt bemächtigt. Keine Behörde war imstande ihre Verbreitung zu verhindern.“ Da musste ich schmunzeln.

    Ein spannender Beitrag! Und deine Spielerei finde ich sehr ansprechend.

    Herzliche Grüße aus NY!

    Like

    1. Naja , Kleiderordnungen waren- und sind- immer ein beliebtes Mittel der ab- und Ausgrenzung, sowohl nach oben wie nach unten. Aber das Bedürfnis nach dem Modischen dürfte doch recht stark sein…Liebe Grüße, Silvia

      Like

  9. Immer wieder faszinierend, was die Menschen so mit ihrer Kleidung aufführen! Schlitze in Kleidung kann man sich eigentlich nur leisten, wenn man es sich leisten kann, oder? Vor allem in kühleren Regionen soll Kleidung doch den Körper schützen, und das Aufschlitzen der Kleidung läuft der Schutzfunktion völlig entgegen, oder sehe ich das zu eng? Risse und Schlitze absichtlich zu setzen hat für mich jedenfalls etwas Dekadentes.
    Du hast Recht: das Grüne weiter unten hätte den Blättercharakter mehr betont, aber deine gezielt geschlitzten Blätter gefallen mir trotzdem ausgezeichnet! Danke für die Inspiration! Liebe Grüße, Gabi

    Like

    1. Künstliche Risse und Schlitze haben tatsächlich, so wie du sagst, etwas Dekadentes. Du brauchst ja nur an unsere zerfledderten Jeans zu denken. Wenn wir nur durch Gebrauch löcherige Kleidung hätten, würden wir niemals sowas anziehen…
      Liebe Grüße, Silvia

      Like

Kommentar verfassen.

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..