Zu Besuch bei coBRANDa in München

In meiner Tasche knistert der Zettel auf dem ich mir meinen Weg aufgeschrieben habe. Das Geschäft ist leicht zu finden, direkt von der U-Bahn Station Milbertshofen geht es zu den „gelben“ Häusern in die Schopenhauerstraße, Ecke Dewetstraße. Ich freue mich, als ich ein (eher spartanisch dekoriertes) Schaufenster mit einem Dirndl sehe. In der Tür steht jemand, eine gemütliche Zigarette im Freien oder ein Tratsch mit dem Nachbarn vielleicht? Das passt zur gemütlichen, fast ländlich anmutenden Vorstadtatmosphäre, so anders als der unübersichtliche Bahnhof München mit seiner hektischen Betriebsamkeit und den endlosen Laufwegen vom Bahnsteig zur U-Bahn. Ich möchte mich gerne ein wenig umsehen, sage ich zu dem Verkäufer. Endlich bin ich in München im Laden von coBRANDa. Pandemiebedingt habe ich diesen Besuch lange aufgeschobenen. 1000 Vintagedirndl hängen da dicht gedrängt. Dazwischen Jeansjacken in allen möglichen Varianten, Trachtenröcke, Dirndlschürzen und -blusen, Jeans in einem Schrank. Es ist kein Geschäft, das auf Kundenblick und ansprechende Präsentation ausgerichtet ist, es ist eher ein platzsparend gegliedertes Lager. Ich weiß im ersten Moment gar nicht wo ich mit dem Schauen beginnen soll. Das hat man mir wohl angesehen und, nach einem Blick auf meine Statur, werden mir die Dirndl gezeigt, die mir eventuell passen könnten. Zufällig entdecke ich ein Trachtenkleid mit dem Stoff aus dem ich mir vor 30 Jahren selber ein Kleid genäht hatte (mein erstes richtiges Trachtenkleid). Ich gebe zu: Die Versuchung war groß, es zumindest zu probieren. Aber vermutlich wäre ich enttäuscht gewesen. 30 Jahre sind eine lange Zeit für eine Frau …

Vor zwei Jahren haben wir gemeinsam mit coBRANDa die Hack my Dirndl Aktion gestartet. Mit an Bord waren:

Jede Menge reizende und originelle Ideen zur Wiederverwertung von fehlerhaften Second Hand Dirndlkleidern entstanden dabei. Ein realer Besuch in München war da schon mein Ziel (um einmal diese Schätze in echt zu durchstöbern), aber Corona hat uns alle mit neuen Herausforderungen konfrontiert. Jetzt also stehe ich da und erkundige mich nach einem ersten Rundgang: „Sind Sie der Chef von coBRANDa?“ „Nein“, höre ich, „der Chef ist meine Frau.“ Dann stelle ich mich als Silvia von den Petersilien vor. „Ach ja, die Mama!“ werde ich von Ramon begrüßt.

Die Gedankenlosigkeit mit der wir mit Textilien umgehen, macht Ramon Sorgen. Die Leichtfertigkeit mit der wir kaufen und wegwerfen. Natürlich auch die katastrophalen Arbeitsbedingungen in asiatischen und afrikanischen Ländern, er hat das selber gesehen. Alles nur um uns ein 2 Euro T-Shirt zu ermöglichen. Das Material wird schlechter, zuviel Mischfasern. Bei den Jeans ist es genauso. Bei den Vintage-Jeans, die es bei coBRANDa gibt, ist keine Kunstfaser drin. Ich denke (innerlich errötend) an die „Jeans“, die ich anhabe, und in der ich gerade fürchterlich schwitze, weil soviel Kunstfaser drin ist. Seine Kinder tragen nur Second Hand Jeans, aber erstklassige Ware.

Handwerklich ist er nicht geschickt, erklärt Ramon, er hat kein Fingerspitzengefühl mehr so eine Philosophie „wie es sein könnte“. Ich bewundere eine alte Nähmaschine, die als Türstopper dient. Da zeigt er mir eine Industriemaschine zum Flicken von Jeans, in England erworben das gute Stück. Seine Frau war entsetzt, schon wieder ein Ding mehr. Damals dachte er coBRANDa könnte Flick- und Reparaturdienste anbieten. Aber es fand sich niemand, der die Maschine bedienen könnte. Auch der Dirndlhack Jeans/Dirndl, den er mit einem lokalen Schneider begonnen hat, läßt sich nicht gut verkaufen. Außerdem kam die Pandemie dazwischen. Ich erinnere mich, dass wir in unserem einzigen Videogespräch via Skype über diese Möglichkeiten sprachen. Jede Menge guter Ideen, denke ich, aber offenbar geht es uns noch zu gut um Reparatur, Wiederverwertung, Second Hand zu schätzen. Was die Zukunft bringen wird weiß Ramon selber noch nicht, da die Energiepreise für den Laden extrem gestiegen sind…

Andere Männer reparieren lieber Oldtimer, schmunzelt Ramon, er sortiert gerne Vintagedirndl. Ist seltsam, oder? Aber er mag das, dieses Fühlen, Spüren von unterschiedlichen Stoffen und Materialien. Die Jungen interessieren sich nicht mehr für’s Handwerkliche. Die stehen auf andere Sachen…Er zeigt mir ein Kinderdirndl aus den Fünfzigern, erstklassig und liebevoll verarbeitet, gutes Material, beste Nähseide, da reißt nichts. Dann darf ich sogar noch Backstage bei den unsortierten Kleidern stöbern…

Zur Feier unseres persönlichen Kennenlernens bekomme ich einen Espresso. Vielleicht gibt es mal einen Besuch von allen Petersilien gemeinsam? Zugeben miteinander wäre es noch lustiger, mir würde das auch Spass machen. Im Moment gibt es aber Terminprobleme bei den Petersilien. Aber wer weiß, vielleicht im Herbst…

Fazit: Wer auf der Suche nach einem besonderen Dirndl oder alten Vintage-Jeans ist, unbedingt bei coBRANDa vorbeischauen!


5 Gedanken zu “Zu Besuch bei coBRANDa in München

  1. Ich habe mir selbst schon einige Dirndlkleider genäht und weiß, wieviel Handarbeit und fachliches Können in so einem Kleidungsstück stecken. Deshalb schaue ich mir die Details dieser alten Dirndl mit Vergnügen an. Auch die Zeit als sie in Mode waren steigt in mir auf,.. Jugendzeit…
    wie gut, dass sie aufgehoben und nun wieder auf dem Markt sind.

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    1. Für mich sind die unterschiedlichen Dekors und Ausarbeitungen auch ein reines Vergnügen, einerseits versetzen sie mich zurück in vergangene Trends, andererseits sehe ich manches mit neuem Blick, Materialien und Muster regen an zu neuen Interpretationen…liebe Grüße, Silvia

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  2. Well, wenn’s so weiter geht, dann wird’s durch Schlechter-Gehen wohl doch noch besser mit ‚u/5-Sterne-Wegwerfgesellschaft.‘ Ob DAdurch/-bei auch die schon ‚zu guten Zeiten‘ schlechten Produktionsbedingungen anderswo sich bessern?
    Hierzulande stelle ich allerdings als ohnehin begeisterte ueberwiegend Eigengebrauch-Recycling-Naeherin (= ‚Pfuscherin‘) mittlerweile gehoerig Konkurrenz in meinen sog. ‚Jagd-Laeden‘ fest. Lustigster Fall hierzu: in Einem der Laeden laufe ich suess-grinsend-freundlichst-begruessend ‚versehentlich‘ in eine knallrot anlaufende Freundin welche ‚frueher‘ mich immer ordentlich herab machte bzgl. meiner selbstgeschnitzten Unikate ;-) :-D :-D
    Manno, war der Dame der Vorfall peinlich !!!
    Ich bin mal neugierig, wie ihre+meine Beziehung* dies ueberstehen wird, da ihr bisheriges geheiligtes ‚Oben-unten-Denken‘ mir gegenueber wohl damit arg ins Schwanken geriet. Nachdem ich gegen derart Denke zwar enorm immun bin, koennte ich ihr ja jederzeit behilflich sein in ihrer ’neuen Taetigkeit‘ (= von Naehnadel-Schwingen oder gar Naehmaschine leihen), aber anbieten/anbiedern tue ich das nicht!
    … und ZEIT habe ich sicherlich auch nicht f. sie gemaess ihrem Fingerschnippen.
    Bittergrinsende Feststellung von mir hierzulande: ‚interessante‘ Zeiten von Aufbau durch Abbau !

    * logischerweise ohnehin nie die Engste; meine Unabhaengigkeit von ihr war immer besser als in Umkehr Immerhin habe ich zu Naeh- und sonst. Handarbeits-Talenten auch noch ‚Gemuese-Bau- und Koch-Kuenste‘ und bin dadurch in generell als ‚Start in schlechte Zeiten‘ weitaus ueberlebensgesicherter als sie selbst \../

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    1. Das war wohl auch für die „knallrot anlaufende Freundin“ ein besonderes Treffen. Aber ist doch cool, wenn sie sich überwindet, um vielleicht eine neue Sicht auf die Dinge zu kriegen…Ich meine könnte ja sein…und „Eigengebrauch-Receycling-Näherin =Pfuscherin“ (eine super Wortschöpfung) zu sein ist jedenfalls ein tolles Gefühl. Da gibt es soviel besondere Möglichkeiten, liebe Grüße, Silvia

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  3. „… sich überwindet….“

    Kicher: jaaaa so fern sie ebenso – wie ploetzlich gar viele andere Schnell-Lerner – ‚Die Kurve‘ schafft, welche sich bisher mehr GEwunden statt je UEBERwunden (= zu gar vielem was mit Arbeit zu tun hatte) haben.
    Zumal derzeit gestiegene Ueberall-Preise ausserdem wohl indizieren, dass Computer-/Maschinen-Technik zwar wohl aufgrund ihrer ‚ploetzlich dringend noetigen Gehaltserhoehungen‘ an selbigen (hohen Preisen) wohl Schuld ist, der nicht-roboterisierte Mensch dagegen fuer seine Leistungen aber kaum irgendwo Gehaltserhoehung abbekommt?
    Wobei mir persoenl. ohnehin dann den Verdacht aufkommt, dass wohl schon die (seeehr) ‚einstigen‘ Gehaltsforderungen von arbeitenden Menschen evtl. gar nie der wirkliche/Original-Grund zur Preisgestaltung einer Ware gewesen sind/ist (obwohl immer dieserart ‚daher gejammert‘) ?

    Trotz wohl derzeit schlechterer Zeiten als ‚b.C19‘ (bevor Covid?) so sind es zu einem gewissen Grade wirklich auch ‚interessante Zeiten’*:
    Schnell-Lerner sind auf dem Privat-Sektor wie auch im Industrie-/Wirtschafts-Sektor noetig: kaum etwas gibt’s mehr gratis oder fix fertig; beide Seiten muessen wohl wieder lernen Vieles selbst zu machen bzw. anzulernen?

    Was ‚Co-Branda‘ betrifft: Gibt’s wirklich keine Interessenten, welche – so wie bereits ein spanisches** schon bekanntes Mode-Label – Dirndl-Kleider zu sog. ‚Landhaus-Mode‘ umarbeitet? MM waere hierbei
    a) Das Klammoettchen evtl. kombinierbarer, pflegeleichter und die Passform mitunter angenehmer/bequemer,?
    b) tragbarer/akzeptierter evtl. auch in gar manchen Corporate-/Berufs-Sparten?
    c) der eigene (evtl. mangelnde) ‚Holz-Anteil‘ nicht so auffallend ‚fehl am Platz‘ sich am zeigen wie dies eben bei den meisten klassischen Dirndl-Kleid-Schnitten nun einmal dann oftmals der Fall ist ;-) ? Inkl. dass man dann beim lockereren/losereren Landhaus-Stil evtl. auch ‚modisch‘ ganz ohne BH geschweige denn gar noch mit ‚Hebe-Vorrichtung zur gesteigerten Busen-Praesentation‘ leben koennte ?

    Dies aber nur ’some 5-Cents-Idee‘ von mir: Jeder entsprechend seinen Wuenschen/Beduerfnissen, so lange diese legal sind und auch niemand Anderem weh tun.
    In diesem Sinne und mit lieben Gruessen,
    G, mit zumindest beruhigtem Gefuehl bzgl. der eigenen Situation, denn sooo ‚toll‘ ist’s leider aufgrund von einigem Mitleid fuer Andere auch nicht.

    *
    … und dabei hasse ich den eigentlich gut gemeinten (ueberwiegenden Neujahrs-Gruss/-Wunsch) der Chinesen von ca. “ … moegest Du in interessanten Zeiten leben …“
    Ich LIEBE schoene, gutfunktionierende, erfolgreiche ‚Langeweile‘ in welcher Niemand ‚ueber den Tisch‘ gezogen (oder gar umgebracht) wird um ein anstaendiges Leben neben und miteinander einander zu haben.
    Jedoch: auch die Chinesen (und etliche ‚Andere‘ sowieso nicht?) scheinen sich nicht mehr sehr gut an gar viele ihrer eigenen (frueheren nur?) Weisheiten zu halten = auch ‚interessant‘ \../ /..\

    ** eine (amerikan.?) Designerin den eigentlich ohnehin schon ‚leicht ge-landhaus-ten‘ Stil‘ eines brit. Labels umarbeitet zu wieder neuen/anderen Kreationen.

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