13.Juni: Tag der Nähmaschine

Es gibt eben für alles Mögliche einen eigenen Ehrentag, warum also nicht für unsere treue Begleiterin, die Nähmaschine? Nein, ich wusste es auch nicht, ich bin rein zufällig in einem Exemplar des Magazins MANUELL darauf gestoßen, genau gesagt in der Ausgabe Nr.6/2018. Jedenfalls möchte ich diesen Ehrentag als Anlass benutzen, um ein wenig über die Nähmaschine, ihre Auswirkungen und ihre Bedeutung nachzudenken.

Wie hat die Nähmaschine das Leben verändert? Was für Möglichkeiten ergaben sich dadurch? Wo stehen wir jetzt?

Viele unterschiedliche Persönlichkeiten waren an der Entwicklung der mechanischen Nähmaschine beteiligt: Die erste mechanische Einrichtung zum Nähen baute um 1775 der in England lebende Deutsche Charles.F. Weisenthal. Der Österreicher Josef Madersberger, ein Schneider und Erfinder aus Wien, benutzte zum ersten Mal zwei Fäden und lehnte sich damit an das Webverfahren. Aber er konnte seine Erfindung nicht praktisch verwerten. Weitere Versuche führte der französische Schneider Barthelemy Thimonier durch. Im Jahr 1830 meldet er sein Patent an: seine „Couseuse“(„Näherin“) mit Endlosgarn näht einen einfädigen Kettstich in der Geschwindigkeit von 200 Stichen pro Minute. Die Urform der Doppelstichnähmaschine schuf 1845 der Amerikaner Elias Howe. Sie wurde von Allen Benjamin Wilson, Max Carl Gritzner, Georg Michael Pfaff und Isaac Merrit Singer verbessert- vor allem durch eine bessere Stoffverschiebung. Auf der Suche nach neuen Verdienstmöglichkeiten meldete I.M. Singer 1851 sein erstes Nähmaschinenpatent an. Das amerikanische Patent hielt aber Elias Howe. Er verklagte Singer und andere Hersteller, es kam zum sogenannten Nähmaschinenkrieg. Schließlich legten Howe, Singer und zwei andere Hersteller ihre Patente zusammen. Mit dem Schildkrötenrücken, der ersten Nähmaschine für den Hausgebrauch, etablierte Singer sich als Branchenführer. Es war die erste Nähmaschine, die mit einer Tretkurbel angetrieben wurde, sodass die Näherin beide Hände frei hatte. In den 1870er-Jahren hatte Singer Fabriken auf der ganzen Welt eröffnet und das erste multinationale Unternehmen geschaffen. 1906 betrug die jährliche Nähmaschinenproduktion der Welt etwa drei Millionen Stück. 1,1 Millionen entfielen auf Deutschland und eine Million davon waren Singer Maschinen.

Was aber machte die Nähmaschine mit der Gesellschaft im 19. Jahrhundert?

Der Einsatz der Nähmaschine wurde zunächst positiv bewertet. Man hoffte, die Nähmaschine bringe den sozialen Fortschritt für die Näherinnen, deren Familie und der Gesellschaft. Nähmaschinen waren in den Fabriken, Werkstätten und Haushalten aller Gesellschaftsschichten zu finden. In großbürgerlichen Familienbenutzte die Nähmaschine das Dienstmädchen oder eine Störarbeiterin (Wanderschneiderin). Frauen aus kleinbürgerlichen Schichten nähten selbst. Der Großteil der weiblichen Arbeiterinnen war in der aufblühenden Textilbranche in den Fabriken tätig. Viele Frauen ersparten sich eine „Singer“. Sie sahen im Besitz der Nähmaschine die einzige Möglichkeit, Lohnarbeit und Haushalt günstig vereinbaren zu können. Heimarbeit an der Nähmaschine war im letzte Drittel des 19. Jahrhunderts zur Hauptverdienstquelle deutscher, französischer und belgischer Arbeiterinnen geworden. Unbegrenzte Arbeitszeit und Belastung der engen Wohnung wurden in Kauf genommen um bei den Kindern zu sein:

„…gegen die Unruhe und Unordnung in ihrem Haushalt sei ihr die ruhige gleichmäßige Thätigkeit in der Fabrik, in der sie eine Weile beschäftigt war, eine wahre Erholung gewesen, sie habe sich oft kaum entschließen können, heimzukehren. Aber der Säugling sei von den Geschwistern immer überfüttert worden und dauernd elend gewesen, da habe sie die auswärtige Arbeit aufgeben müssen. Jetzt näht sie Blusen zu Hause und verdient bei ungleich längerer Arbeitszeit nur viel weniger.“ Äußerte eine Berliner Näherin, die in einem einfenstrigen Zimmer arbeitete (in dem gleichzeitig auch ihre Kinder schliefen, aßen, schrien, spielten, krank waren…) bei einer soziologischen Befragung 1898.

Die Beengtheit der Räume, die schlechten hygienischen Arbeitsbedingungen, die dadurch vergrößerte Ansteckungsgefahr, die zum Teil langen Arbeitszeiten und die daraus resultierende Arbeitsüberlastung, die einseitige Sitzhaltung, mangelnde Bewegung und schlechte Ernährung der Näherinnen hatten erhebliche Auswirkungen auf ihre Gesundheit. So hatten von 1000 Befragten 310 Unterleibsleiden. Generell erkrankten 1894 von 19 078 Arbeiterinnen der Berliner Konfektionsindustrie 5051, und 551 Frauen starben zumeist an Tuberkulose, Lungen-, Herz- und Unterleibsleiden. Trotz ihrer Krankheiten arbeiteten die Frauen weiter, weil sie auf ihren Lohn angewiesen waren.

Nachdem ich das alles (und noch mehr) gelesen hatte, drängten sich mir verschiedene Vergleiche mit aktuellen Geschehnissen auf. Zuerst einmal die nach wie vor katastrophalen Arbeits- und Lebensbedingungen heutiger TextilarbeiterInnen. Trotz immer wieder aufflammender Diskussionen und schockierender Nachrichten hat sich nicht wirklich ernsthaft etwas geändert. Das Meiste, von vielen Herstellern geschickt als „fair, sozial oder bio“ in ihren Werbekampagnen vermittelte, ist Schein. Daran wird sich nichts ändern, wenn wir nicht bereit sind echte Preise zu bezahlen. Also solange wir immer noch auf Schnäppchenjagd gehen und uns an 3 Euro T-Shirts erfreuen, solange wir unsere ganze Glückseligkeit beim Einkaufen und Wegwerfen billiger Kleidung erlangen.

Überraschend ist für mich die frappierende Parallele zum Homeoffice: Heutzutage steht garantiert nicht mehr in jedem Haushalt eine Nähmaschine aber mindestens ein Computer. Homeoffice- das klingt natürlich viel besser als Heimarbeit. Aber Heimarbeit hat sich nie gelohnt, oder sagen wir so: fördert Selbstausbeutung. Mit den wunderbaren Möglichkeiten des Internets und des Computers tun sich jede Menge vielversprechende, kostensparende Arbeitsmodelle für Unternehmensleiter auf. Der Arbeitnehmer arbeitet in seinen eigenen vier Wänden, bezahlt sich also die Miete selber, er heizt selber, er benutzt sein eigenes Mobiliar, oft sein eigenes Gerät, sein eigenes Klo, erhält teilweise geringere Bezahlung (wurde mir gesagt), dafür ist er zeitlich flexibel, spart sich den Arbeitsweg und auch entsprechende Kleidung. (Das mit dem Arbeitsweg hat natürlich was für sich und sicher mögen viele lieber Jogginghosen als Anzüge.) Aber der Arbeitgeber wird früher oder später über Einsparungen bei Räumlichkeiten nachdenken, warum teure Büroräume mieten, wenn sich die Leute so gerne zuhause ein Büro einrichten? Außerdem hat der Arbeitgeber seine Angestellten schön an der langen Leine, mit Handy und Internet. Man neigt zuhause garantiert zum länger arbeiten, eben weil die Arbeit immer präsent ist und es viel schwerer ist Abstand zu halten. Zudem verzichtet man auf das, was vielen von uns in den letzten Jahren so abgegangen ist: soziale Kontakte, der Tapetenwechsel, das Gespräch, der unmittelbare Erfahrungsaustausch, vielleicht auch nur die gemeinsame Kaffeepause…

Sind diese Gedanken zuweit hergeholt? Eure Meinung würde mich interessieren!

Doch nun zurück zur Nähmaschine: Für mich ist sie ein wunderbares Arbeitsgerät mit dem man zauberhafte und praktische Dinge erschaffen kann, seine eigene Mode und Kleidung gestalten und nähen kann, und unendlich viele textile Abenteuer erleben kann.


10 Gedanken zu “13.Juni: Tag der Nähmaschine

  1. Vielen Dank für Deinen interessanten Post!
    In Punkto Homeoffice habe ich andere Erfahrungen in unsere Firma. Viele Mitarbeiter wollen ins Homeoffice, bestehen auf extra Regelgungen im Arbeitsvertrag. Die Kollegen im Homeoffice sind oft nicht so produktiv wie hier im Büro, weil jede Info aktiv beschafft werden muss und nicht mal eben an der Kaffeemaschine bei Kollegen „abgegriffen“ werden kann. Die Kollegen im Homeoffice machen sehr pünktlich Feierabend und sind im Laufe des Tages oft nicht zu greifen, laufen im Telefonat zur Tür um dem Paketboten zu öffnen usw. usw.
    Sicher ist es von Brance zu Branche unterschiedlich, ich kann nur für mich sprechen. Und als Firma hat sich Homeoffice eher negativ aufs Geschäft ausgewirkt.
    Ich habe bis jetzt nicht verstanden warum viele das Homeoffice heroisieren, gerade weil die Erfahrungen der Fabrik-Heimarbeiter so eindrücklich in vielen Schriften dokumentiert sind. Vermutlich wird es irgendwann wieder einen Gegentrend geben.
    Ich habe mich aktiv gegen Homeoffice entschieden, denn dann müsste meine Nähmaschine dem Computer weichen – was für eine katastrophe ;-) LG Kuestensocke

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    1. Ich spreche da übrigens nicht aus eigenen Erfahrungen (ich bin freiberuflich tätig, da ist ohnedies alles anders) sondern aus Beobachtungen, aber- da muss ich dir unbedingt recht geben-die Produktivität und Motivation ist bei vielen nicht recht groß. Du hast das ja recht schön beschrieben. Ich habe im Zuge eines Ausstellungsprojektes übrigens Schüler zwischen 12 und 18 Jahren gebeten kurz über ihre Erfahrungen bzw. Lockdown, Homeschooling zu schreiben und ihre Texte waren recht erschütternd. So wie du auch sagst, all das was so nebenbei abgesprochen geklärt werden kann, fehlt einfach. Im nachhinein ist mir übrigens nochwas eingefallen: Die Nähmaschine arbeitet schon mal 20 Jahre und mehr, aber der Computer…Liebe Grüße, Silvia

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  2. Schöne alte Maschinen hast Du da! Sind das alles Deine? Ich restauriere gerade auch so ein ganz altes Modell, allerdings ohne Tisch. Ich musste lachen, als Du die Heimarbeit beschrieben hast, denn ich habe natürlich auch sofort an heute gedacht. Ich breche mal eine Lanze fürs Homeoffice: Ich bin ein Fan davon! Aber ich denke es hängt sehr von der Tätigkeit und vom Typ ab. Meine Pro-Argumente: 1. Ich bin sowas von entspannt seit ich nicht mehr im grauenhaften Berufsverkehr ins Büro muss. 2. Keine Verzögerungen bei Meetings mehr, weil manche sich „erst noch nen Kaffe holen müssen“, oder von weit entfernten Büros zum Meetingraum hetzen müssen. 3. Keine Terminfindungsprobleme wegen fehlenden Meetingräumen 4. Keine Konflikte, weil Mitarbeiter nicht kompatibel sind (z.B. Vieltelefonierer vs. konzentriertes Arbeiten, Heizung,… ) 6. Im Büro mache ich Pausen und gehe um den Block (manchmal trostlose Industriegebiete), jetzt geh ich auf den Balkon und gieße meine Blumen :-) 7. Gute, neue Mitarbeiter müssen nicht umziehen und sind deswegen froh und motiviert. Ist auch für die Partnerschaft gut, weil jeder seiner Arbeit nachgehen kann, ohne den Standort wechseln zu müssen. Das ist ja heute auch viel wichtiger, wo beide arbeiten.
    Ich habe keine Probleme, Informationen zu erhalten, aber es stimmt natürlich, dass man sich dafür aktiver einbringen muss. Das hat mich aber eher in meiner Entwicklung gefördert.
    Ich denke außerdem (und das ist jetzt nicht böse sondern wohlwollend gemeint), dass sich Menschen, die zur Selbstausbeutung neigen, dies auch im Büro tun. Z.B. ins Büro gehen, auch wenn man krank ist, oder erst heimgehen, wenn der Chef weg ist. Ich kann das nachvollziehen, das kommt daher, dass man das Gefühl hat, man MUSS so agieren. Wenn man selbstbestimmt arbeiten kann, profitiert man eher von Homeoffice.
    Das Problem mit kleinen Kindern und die Enge Zuhause ist aber möglicherweise noch heute genau so, wie beschrieben. Auch da profitieren sicherlich bestimmte Arbeitnehmer mehr als andere. Andererseits ist man nicht mehr so sehr darauf angewiesen, in Ballungszentren Wohnungen zu finden, die dann zu klein und teuer sind. Viele Grüße, Anne Sophie

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    1. Danke für deinen ausführlichen Kommentar. Wahrscheinlich steht es mir nicht zu aber dieser Vergleich kam mir in den Sinn und ich freue mich sehr über jede weitere Facette und Ansicht zum Thema, liebe Grüße, Silvia.

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    2. Was ich noch sagen wollte: die alten Nähmaschinen gehören mir sind aber in einem bedauerlich schlechten Zustand, aber vielleicht wird’s nochmal was mit dem Reparieren…

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  3. Ich habe deinen Artikel seit er erschienen ist, nicht geschlossen, da ich ihn nochmal lesen wollte. Heute hätte ich nun die Ruhe dazu.

    Ich kann mich einerseits beiden Überlegungen zum Homeoffice anschließend und auch wieder nicht. Ja, es erleichtert Selbstausbeutung, aber ebenfalls ja, es gibt auch die Möglichkeit für kleine und größere (bezahlte) Pausen. Aus meiner Erfahrung heraus, kann es gut funktionieren, wenn das gesamte Team genug Selbstdisziplin hat, sich nicht komplett aufzuarbeiten und genug Motivation, seine Arbeit gut zu machen. Und das gibt es :)

    Vielen Dank für die Mühe, die du dir mit diesem interessanten Artikel gemacht hast! Gerade der Rückblick ist wirklich herrlich.
    Grüße

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    1. Danke für das Teilen deiner Gedanken.

      Ich würde gerne meine Erfahrungen zum Thema Home-Office beitragen. Als bei uns vor gut zwei Jahren alle von jetzt auf gleich ins Home-Office geschickt wurden, brach erstmal Chaos aus, weil keine privaten Computer genutzt werden durften, aber auch keine Firmengeräte nach Hause genommen… Arbeiten ging nur mit Papierakten; alles andere musste an den kostbaren Tagen im Büro erledigt werden (Notbesetzung, es wurde gezählt wie viele Personen anwesend waren).
      Bald war klar, dass es nicht schnell zur Normalität zurück ginge, also durften Computer mitgenommen werden und alle bekamen nach und nach Laptops.
      Die Höhere Führungsebene hatte Schiss um die Produktivität, ich habe rotiert um meinen Mitarbeitenden gutes Arbeiten zu ermöglichen – und war schnell überzeugt, dass es gut klappt!
      Inzwischen dürften alle wieder jeden Tag ins Büro, aber das macht kaum einer. Allerdings darf auch niemand komplett Zuhause arbeiten.

      Früher herrschte Missgunst, weil nur Leute mit minderjährigen Kindern oder pflegebedürftigen Angehörigen regelmäßig Home-Office nutzen durften. Da wurden die Telearbeiter misstrauisch beäugt. Die Zufriedenheit ist bei uns gestiegen, seit unsere höchste Führungsebene empfohlen hat, dass alle zwei Tage im Büro und drei Zuhause arbeiten sollen.

      Sozialer Zusammenhalt klappt über Ausflüge und Video-Kaffeepausen.

      Da Überstunden im Büro begründet werden müssen, hält sich die Selbstausbeutung in Grenzen – außerdem werden zur Psyche und Gesundheit im Home-Office regelmäßig Schulungen für Mitarbeitende und Führungskräfte angeboten.

      Ich persönlich finde die Mischung aus Home-Office und Anwesenheit im Büro inzwischen toll – hätte ich vor zwei Jahren nie gedacht.

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    2. Schwierig, nicht wahr? Für mich ist es jedenfalls sehr spannend, wie unterschiedlich Situationen für jeden sein können. Danke für deinen Kommentar. Liebe Grüße, Silvia

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