Ein neues Kleid für einen Sonnenschirm

Es ist ja nicht unbedingt so, dass ein Sonnenschirm zu den unerschwinglichen Luxusgütern gehört. Aber ich hätte es einfach schade gefunden, wenn ein sonst noch sehr gut funktionierendes Gestell weggeworfen würde, nur weil der morsche Stoff den Freiflug während eines nachmittäglichen Fönsturms nicht überlebt hat. Der Riss im Stoff war ja weiter nicht überraschend, nach so vielen Jahren Wind und Wetter. Bei uns dauert es immer etwas, bis wir endlich irgendwohin kommen, um zum Beispiel einen Sonnenschirm zu kaufen. Es muss irgendwie mitgehen bei einer Besorgungstour.

Mein Mann hat tasächlich nach einigen Tagen einen neuen Schirm gekauft. Dagegen hatte ich inzwischen beschlossen einen Versuch zu machen, dem Schirm ein neues Kleid zu verpassen. Das Interessante an solchen Reparaturen ist das Zerlegen und Überlegen: Wie wurde das Ding eigentlich zusammengebaut? Üblicherweise benutzen wir solche Alltagsgegenstände ohne groß über ihre Konstruktion nachzudenken. Ich denke mir natürlich auch nichts…Ab dem Moment wo ich eine Reparatur plane, tauchen plötzlich jede Menge Fragen auf. Zuerst einmal: Wie läßt sich der Schirm auseinandernehmen? Dann: Der Schirm ist doch schon eine alte Erfindung, oder?

Ein Schirm ist tatsächlich eine Erfindung, die uns schon lange begleitet, in seiner kleineren tragbaren Version als Sonnenschirm, nämlich ganze 4000 Jahre. In vielen alten Kulturen, Ägypten,Persien und China gibt es Darstellungen von Sonnenschirmen, schriftliche Hinweise und bildliche Darstellungen gibt es bei den alten Griechen. Diese Schirme waren Baldachinartig und wurden von Dienern und Sklaven getragen. (Aus diesen Schirme entwickelten sich später auch die in der christlichen Kirche üblichen Baldachine für Prozessionen.) In Indien war ein reichverzierter Sonnenschirm Teil der Krönungsinsignien des Königs. Außerdem gehört der Sonnenschirm zu den 8 tibetischen Glückssymbolen, daher sind buddhistische Tempel in Myanmar und Thailand mit Sonnenschirmen gekrönt.

Asiatischer bemalter Papierschirm

In Europa kam der Sonnenschirm im 16. Jahrhundert in Mode. Im 17. Jahrhundert wurden kleine tragbare Sonnenschirme modern. Sie wurden von den Reichen selbst getragen. Es galt die Blässe der Haut vor der Sonneneinstrahlung zu schützen und somit blieb der tragbare Sonnenschirm ein Modeaccessoires bis in die 1920er Jahre. Danach wurde Sonnenbräune Mode. Der Regenschirm kam übrigens erst im 19.Jahrhundert auf. (Sabine hat hier ihrem Regenschirm ein neues Deko verpasst.)

Bei uns überlebte der Sonnenschirm vor allem als Standsonnenschirm für Garten, Balkon und Terasse. In asiatischen Ländern ist der Sonnenschirm auch heute noch durchaus üblich, und wer weiß, in Anbetracht der immer extremeren Temperaturen findet er vielleicht auch bei uns wieder seinen Platz. Ich selber, gestehe ich, bin verliebt in asiatische Bambusschirme…

Zitronekleid mit Papierschirm

Aber zurück zu meinem Projekt. Der Sonnenschirm besteht aus 8 dreieckigen Teilen. Befestigt ist er an den Spitzen der Streben, auch an der ganzen Länge in größeren (20cm) Abständen. Oben war ein abnehmbarer Plastikknopf, der ist nur aufgesteckt. An der Spitze war ein ringförmiges Element aus Metall in das Polyestermaterial der Bespannung gesteckt.

Ich habe ein Segment herausgeschnitten und danach ein Papierschnittmuster gezeichnet. Welche Stoffe ich verwenden sollte, war eine Frage, die mich sehr beschäftigte. Da es aber 8 Segmente waren, musste es ein Mustermix sein. Ich hätte gerne exquisitere Stoffe genommen, aber ich muss ehrlich sein: Ich misstraute meiner Reparaturfähigkeit. Daher entschied ich mich für Stoffe, die eher in den Bereich „Naja“ gehören. Wenn ich ehrlich bin: Ich bin froh einen Verwendungszweck für sie gefunden zu haben. Der orange Bordürenstoff ist ein Rest aus unserer Hack My Dirndl-Aktion, der schwarzweiß karierte Stoff hat schon verschiedene Wandlungen erlebt. Die Leos finde ich super, möchte aber kein Kleidungsstück damit nähen. Der hellgrundige Blumenstoff war schon fast ein Dirndlrock…Ich hatte noch ein Reststück eines richtig coolen Ananasprints, aber leider es war zuwenig. Die Stoffstücke waren recht unterschiedlich groß, daher mußte ich einiges anstückeln. Ich erhielt tatsächlich von jedem Stoff zwei Segmente. Die herunterhängenden Teile versäuberte ich zuerst. Dann ging es an das Zusammennähen. Oben in der Mitte kam es zu leichten asymetrischen Verschiebungen, ich weiß nicht warum. Auch entstand ein größeres Loch als geplant. Obwohl ich mich beim Zuschnitt sehr zusammengerissen hatte, weil ich wusste, dass es bei Bespannungen schnell zu Falten und Beulen kommt. Man sieht das an dem Faltenwurf an der Mitte. was man noch sieht: Die hellen Segmente hatte ich zu Beginn zugeschnitten. Da war ich recht sorgfältig mit dem in den Stoffbruch Falten, Bügeln und Zuschneiden. Bei den anderen Teilen (Bordürenstoff und Karo) ließ meine Konzentration etwas nach bzw. wurde ich schon kribbelig, ob sich alles so ausgeht, wie erhofft…

Dann schwenkte ich ganz stolz meine neue Schirmbespannung und rief: „Probieren wir es einmal aus!“ Leichter gesagt, als getan. Durch das zu große Loch in der Mitte rutschte der Stoffkreis gleich einmal vom zugeklappten Schirm und lag am Boden. Dann haben wir den Schirm auf den Schirmständer gesteckt und aufgespannt. Man hat trotzdem ein großes Stück Stoff und das schlabbert um den Schirm herum. Jeder, der schon mal einen kaputten Schirm sah, weiß, dass die Speichen fröhlich herumwandern, wenn ihre Fixierung an der Bespannung lose ist. Ich hatte tatsächlich einen Moment Angst, dass ich mich bei den Teilen verzählt habe-das wäre so typisch für mich- weil wir so ein Durcheinander an Stoff und losen Speichen hatten. Das Problem an dem Ganzen war, dass ich nicht so recht wusste, wo ich mit dem Befestigen beginnen sollte. Nach einer mittäglichen Besprechung mit meinen Mann stellte er fest: „oben zuerst“. Gerade dort war aber meine Passform äußerst mangelhaft…In der Mitte habe ich mein zu großes Loch mit Knopflochfaden zusammengezogen und um die Spitze des Gestells gebunden. Danach arbeitete ich mich durch die Speichen, zuerst am Ende, dann innen entlang an der Nahtzugabe. Das braucht seine Zeit und der Schirm ist so sperrig! Trotzdem wurde der Schirm immer hübscher je mehr Teile ich fixiert hatte. Das heißt: Er sah tatsächlich immer mehr einen Sonnenschirm ähnlich.


Fazit: Ein individueller Schirm.

Aber das Arbeiten daran hat mir vor allem zwei Dinge gezeigt. Erstens: Wir wissen gar nicht wieviel Handarbeit in den Gebrauchsgegenständen steckt. Auch wenn man davon ausgeht, dass bei fabriksmäßiger Herstellung alle Abläufe perfekt abgestimmt und vorbereitet sind. Ich habe doch einige Stunden damit verbracht. Daraus ergibt sich, dass der Preis eines solchen Schirms von sagen wir rund 70 Euro für all das Material, die Herstellung, die Lieferung viel zu billig ist.

Zweitens: Ich möchte noch mehr Schirme machen! Vielleicht sollte ich einen unserer vielen Regenschirme in einen schönen Sonnenschirm verwandeln! Die Frage ist nur: Würde ich auch mutig genug sein, damit spazieren zu gehen?

Material: Baumwollstoffe, Nähseide, Knopflochseide zur Befestigung.

Wer auf den Schirm gekommen ist: In der kleinen italienischen Stadt Gignese gibt es ein eigenes Museum über Regen- und Sonnenschirme


10 Gedanken zu “Ein neues Kleid für einen Sonnenschirm

  1. Dein Schirm ist wunderschön geworden. Tatsächlich habe ich auch so ein altes Gestell und damit geliebäugelt mir einen neuen Bezug zu nähen….. aaaber wie so oft ist es noch ein ‚Wollen‘ :-)

    LG

    Christine

    Like

    1. Also, das wäre jetzt doch die Gelegenheit es zu versuchen. Wie gesagt oder wie gut zu sehen ist, auf die Mitte achten…Ich muss jetzt tatsächlich noch einen anderen schirm verwandeln, schon um aus meinen eigenen Fehlern zu lernen, liebe Grüße, Silvia

      Like

  2. Ein geniales Reparaturprojekt, liebe Silvia! Danke, dass du auch alle Schwierigkeiten detailliert beschreibst und damit aufzeigst, wie aufwändig das Bespannen der Schirme ist. Was dahinter steckt. Liebe Grüße, Gabi

    Like

    1. das ist das Gute daran, wenn man es mal selbst versucht, erst dann versteht, was eigentlich alles geschehen muss, bis eine Sache fertigt ist. Ist doch auch beim Nähen so: Auch wenn es „nur“ ein T-Shirt ist. Man braucht den vorbereiteten, gewaschen oder gebügelten, Stoff, Zuschnitt, Nähen…alles braucht seine Zeit. Liebe Grüße, Silvia

      Like

  3. Ui, der ist aber enorm ’sonnig‘ geworden; nimmst Du auch Auftraege an?

    O.k., Auftragsarbeit muss als Spass behandelt werden wegen der Entfernung.

    Beim naechsten Sonnenschirm vorsichtshalber einen mehr ‚Windstoss-Resistenten‘ waehlen? Diese haben dann 2 Schirmdecken: die groessere Unterste (= welche Du gerade erneuert hast) hat dann ein relativ grosses Loch in der Spitze. Dieses ‚Loch‘ wird von einer zweiten, kuerzeren Schirmdecke oben drueber abgedeckt. Der Wind kann dadurch – wie immer und unvermeidlich – unter den Schirm, hat jedoch auch wieder einen Fluchtweg hinaus ohne dabei den ganzen Schirm wegen seiner geschlossenen ‚Gefaengnis-Decke‘ in Mitleidenschaft zu ziehen. Nicht alle ‚kaputteten‘ Sonnenschirme koennen naemlich auf eine wirklich lange Arbeits-/Einsatz-Zeit - so wie Deiner – zurueck blicken ^^ + ;-) :-D

    Aber es ist wirklich immer wieder interessant, wenn man durch Selbermachen entdeckt wiiiiie viel Arbeitsaufwand dahinter steckt. Ich habe mal eine Holzspeiche eines Sonnenschirmes repariert ohne ihn dazu auf den Boden legen zu koennen. Hierzu muss man noch erwaehnen: besagtes Reparatur-Gut war nagelneu und ‚kaputtete‘ trotzdem* . Diese Reparatur ueberlebte uebrigends den Bruch vieler weiterer benachbarter Speichen (kicher). D.h. und wie sag(t)en hierzu schon einige Mitmenschen in meinem Umkreis ca. : “ … als Mensch/sonst. Lebewesen darfst Du sie ja – evtl. – nerven, aber als Gebrauchsgegenstand hat man bei ihr zu funktionieren; gnadenlos! Ansonsten wird man ‚um-operiert‘ oder fliegt raus!“

    Liebe Gruesse und grosse Bewunderung. Dies auch f. viele Deiner/Eurer Werke in vorangegangenen anderen Blogbeitraegen f. welche mir mitunter die Zeit zum Kommentieren fehlte wegen, aehem, mitunter Ueberbeschaeftigung als ‚Chirurg’ ;-) :-D.

    * war eine Gegend mit, aehem, sehr vielen kurzzeitigen,temperamentvollen Windstoessen. Selbige entstanden durch mangelndes Mitdenken beim Einsatz menschlicher ‚Wind-mach-Maschinen‘. Habe dem Besitzer dann erklaert, dass fuer seine Anwendungszwecke eine bessere Sorte Sonnenschirm auf dem Markt waere: obig erwaehnte Doppel-Schirmdecken Variante; jedoch wohl doch auch mit zusaetzlicher Verstrebungsverstaerkung. Man muss dann eben sich entscheiden, was letztendlich ‚billiger‘ ist: staendige Reparaturen und/oder Neukaeufe, oder ….

    Like

    1. Wir hatten auch einmal einen großen Schirm mit hölzernem Gestänge, da war auch was kaputt, ließ sich aber machen. Nur hat der Schirm die Überwinterung nicht überstanden: Er musste sich den Raum mit Junggeflügel teilen und die saßen so gerne drauf…Das mit dem Fluchtweg ist eine gute Sache, es geht ja um Sonnenschutz, daher wäre so ein Zugluftloch o.k. Liebe Grüße, Silvia

      Like

  4. So ein Sonnenschirm muss doch eigentlich auch das perfekte Projekt zum Vernähen ausgesonderter Jeans sein, oder?

    Like

    1. Ich stelle mir das optisch sehr gut vor, aber das Gewicht könnte zum Problem werden. Die neuen Schirme haben meist leichte Kunststoffbespannungen, meine Baumwollversion ist auch schon wesentlich schwerer…Liebe Grüße, Silvia

      Like

  5. Ich hatte vor ein oder zwei Jahren ebenfalls versucht, einen alten Sonnenschirm neu zu bespannen und kann gut nachfühlen, wie schwierig das Spannen des Stoffs war! Trotz genauem Abmessen und Zuschneiden – bei mir war es „nur“ ein Rechteck, fast zwei Meter lang – habe ich es nicht geschafft, den Stoff faltenfrei zu spannen. Leider ist mir kurz danach auch das Gestell durchgerostet. Aber es war eine interessante Erfahrung 😀

    Like

Hinterlasse eine Antwort zu Christine Nätscher Antwort abbrechen

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..