Stoffspielereien: Blumig-barocke Kreuzstichmotive

Wenn draußen noch nicht allzu viele Blumen vom Frühling erzählen, dann ist der richtige Zeitpunkt mit Blumen zu träumen. „blumig“ lautet nämlich das Stoffspielereienthema von 123-nadelei. Zuerst dachte ich: „Ich vernähe ein paar schönen Stoffe mit Blumen drauf“, dann „ich mache Patchwork mit lauter Blumenmotiven“, dann wieder „nein doch sticken…“Also wollte ich erst eine Blume, z.B. die Tulpe, in den Mittelpunkt meiner Arbeit rücken. Dazu ging ich auf die Suche nach unterschiedlichen Darstellungen und fand dabei das Buch Kreuzstichmuster aus dem Barock und Rokoko herausgegeben von Helga Wagner, Süddeutscher Verlag 1985. Darin gibt es jede Menge Blumenmotive. Damit meine Blumenstickereien nicht nur Musterfleckchen zieren, war ich krampfhaft auf der Suche nach bestickbaren Objekten. Man könnte natürlich auch etwas nähen und dann besticken, ein altes Kleidungsstück bearbeiten, nur hatte ich gerade nichts passendes. Da fielen mir die Socken ein, die mir meine Mutter geschenkt hatte. Ich gebe zu, die Farbigkeit ist etwas heftig: Ein Paar ist türkis, das andere violett. Sie sind aber herrlich warm. Jedenfalls würden sich barocke Blumen auf poppigen Socken des Jahres 2024 gut machen. Ein traditionell im Kreuzstich gesticktes Motiv habe ich ebenfalls zum Vergleich angefertigt und Sabine hat das Tulpenmotiv gehäkelt.

Kreuzstichmuster aus dem Barock und Rokok Helga Wagner Süddeutscher Verlag

In dem Buch Kreuzstichmuster aus dem Barock und Rokoko sind Originalvorlagen aus alten Musterbüchern abgebildet. Das ist optisch durchaus einen Herausforderung. Auf den alten, in Kupfer gestochenen, Mustern sind keine Farben angegeben. Bei den Vorlagen von Rosina Fürst, die wir verwendet haben, sind zwei Töne angedeutet durch die voll ausgefüllten und die gestrichelten Karos. Zur Erleichterung habe ich mir die Motive mit Buntstift auf Karopapier herausgezeichnet. Es dauert immer ein wenig, bis ich mich in ein Motiv „eingeschaut“ habe.

Die Stickvorlagen sind drei verschiedenen Büchern des 17. und 18. Jahrhunderts entnommen:

1.“Das Neue Model Buch/Zufinden in Nürnberg, bey Paulus Fürsten Kunsthandl. Erster theil“, sowie „Daß Neue Modelbuch von schönen Nädereyen, Ladengewürck und Paterleinsarbeit. Anderer theil“ (Ausgabe 1689)

2. „Kunst= und Fleiß=übende Nadel-Ergötzungen oder neuerfundenes Neh= und Stick=Buch…vorgestellt von FR: Margaretha Hemin/ Zu finden in Nürnberg bey Joh: Christoph Weigel“

3.„Des neuen Strick (sic!)-Büchlein Zweyter -Theil…verlegts in Nürnberg Christoph Weigel, Junior“ (1784)

Alle drei Titel sind also in Nürnberg erschienen, wo zwischen dem Ende des Dreißigjährigen Krieges und dem beginnenden 19. Jahrhundert mehr als zwei Dutzend Verlage existiert haben. Augsburg und Nürnberg waren im Barock und Rokoko Zentren des Kunsthandwerks, der Kleinkunst und des Silber- und Goldschmiedewesens gewesen. Für Künstler und Handwerker brauchte man immer wieder Vorlagen. Genauso aber für den häuslichen Gebrauch. In Nürnberg sind neben den Muster- und Ornamentvorlagen vor allem viele Blumen- und Gartenbücher erschienen. Bezeichnend ist, dass viele dieser Bücher von Frauen gemacht wurden. „Sie wußten eben, was man braucht“, schreibt die Herausgeberin Helga Wagner in ihrem einleitenden Text.

Eine der bekanntesten Malerinnen der Zeit war Maria Sibylla Merian. Ihre Naturstudien sind weltberühmt. Sie lernte ihr Handwerk bei ihrem Stiefvater, einem Blumenmaler, und lebte von 1670 bis 1683 in Nürnberg. Hier gab sie unter Zuhilfenahme ihrer Blumenbücher Mal- und Handarbeitsunterricht (Nadelmalerei). Sie war tatsächlich wissenschaftlich interessiert und widmete sich besonders dem Studium und der Entwicklung der Schmetterling. Das war für eine Frau dieser Zeit völlig ungewöhnlich. Zwischen 1670 und 1683 lebte und arbeitete sie in Nürnberg.

Rosina Helena Fürst, dieTochter des Paulus Fürst, gab nach dessen Tod den zweiten Band des „Modelbuches“ heraus. Margarete Helm schließlich von der ebenfalls etliche Tafeln des Buches stammen, war Gattin des Kantors Adam Rudolph Helm bei St. Egidien in Nürnberg und hat sich mit ihrer „ruhmwürdigen Geschicklichkeit und treuen Unterweisung“ verdient gemacht.

Viele der Muster sind von den HerausgeberInnen keineswegs erfunden worden, sondern sind zum Teil uraltes Traditionsgut oder entstammen unterschiedlichsten Quellen, fernen Ländern, sind z. B. indischen Seidenstoffen, orientalischen Teppichen usw. abgesehen…

Die Mustervorlagen können im Kreuzstich auf zählbarem Stoff (Leinen oder Aida) oder auf Strickgrund im Maschenstich ausgeführt werden. In diesem Fall muss die Stickwolle der Wollstärke der Grundlage angepasst sein, denn die aufgestickte Masche soll die Grundmasche gut verdecken. Beim Maschenstich muss man berücksichtigen, dass das gestickte Muster etwas breiter als hoch erscheint. (Oben das Blumenmotiv auf Aidawebe, unten im Maschenstich auf den violetten Socken.)  

Der Maschenstich: Dieser Stich ist sehr praktisch um kleine Motive auf Gestricktes zu sticken. Gut gemacht, sieht es aus, als wäre mehrfarbig gestrickt. Aber Achtung die Motive werden etwas breiter. Es ist eigentlich ein umgekehrter Kettenstich. Man beginnt unten zwischen den Fäden einer Masche und umschlingt die nächste obere gestrickte, dann geht es wieder zurück ins Ausgangsloch und weiter hinauf oder nach links.

Fair Isle Häkelblüte von Sabine

Ich hatte jetzt keine Pläne auch ein Projekt zu machen, aber in unserem Gespräch über die bestickten Socken kamen wir darauf, dass es sehr spannend wäre, von dem Muster verschiedene Umsetzungen zu zeigen. Es ist immer wieder interessant so etwas zu vergleichen. Da meinte ich, Ich könnte doch ein Musterstück häkeln. Fair Isle häkeln steht schon seit dem Sommer auf meiner ausprobieren Liste.

Fair Isle häkeln ist eigentlich wie Tapestry oder Intarsien Häkeln. Statt mit der normalen festen Maschen zu arbeiten, muss man mit der Häkelnadel in das V reinstechen. Knit stitch, Center single oder waistcoat stitch wird das im Englischen genannt. Sollte wer die passende deutsche Bezeichnung wissen, nur her damit. Bei Cadooh findet ihr mehr zur Geschichte des Stiches. Tapestry mit der klassischen festen Masche gefällt mir nicht, weil die Kanten zwischen den Farben, für mich, doch sehr unschön zerfledert aussehen, aber nicht bei dem Knit Stitch.

Frisch von der Nadel

Wenn man nicht zu fest häkelt, gewöhnt man sich schnell an das tiefer Stechen. Anfänglich ist man doch recht am rumbohren. Im Idealfall arbeitet man in der Runde, dann gibt es nicht die tausend Fäden auf der Rückseite. Ich habe jede Reihe neu gestartet, zwar gibt es auch die Möglichkeit hin und retour zu häkeln, allerdings wird das Maschenbild bei weitem nicht so gleichmässig „gestrickt“.

Was mir aufgefallen ist: das Häkelstück ist sehr, nunja, verzogen, an der Anfangsseite gibt es eine ordentliche Diagonale und recht feste Maschen und auf der linken Seite fächert das Ganze auf. Flach liegen tut eigentlich gar nichts. Auf der Rückseite sind so viele Fäden, Spannfäden und alles flattert da fröhlich rum. Aufs direkt Fäden mithäkeln habe ich verzichtet, da ich etwas in Sorge war, dass die inaktiven Fäden zusehen sind und nach vorne durchblitzen. Das Motiv hat 27×28 Maschen und es wird breiter als höher. Das ist genauso wie beim Sticken auf Strick.

Flach hingelegt bleibt dass Stück doch ein bisschen verzogen (nicht gespannt oder gedämpft)

Aber trotz allem ist das Ergebnis sehr hübsch und ich liebäugele mit einer Mütze. Das Gehäkel wird sehr kompakt und dick und auch sehr unelastisch, theoretisch also perfekt wenn in der kalten Jahreszeit der Wind pfeift. Oder für eine warme Weste… Und es gäbe ja auch sehr hübsche Tapestry Muster, die sich mit dem Muster gut in „schön“ umsetzen lassen würden. Oder eben Kreuzstichvorlagen…


ZU DEN STOFFSPIELEREIEN

Mach mit, trau dich, sei dabei! Die Stoffspielereien sind offen für alle, die mit Stoff und Garn etwas Neues probieren wollen. Es geht ums Experimentieren und nicht ums Perfektsein, denn gerade aus vermeintlich „misslungenen“ Experimenten können wir im Austausch jede Menge lernen. Lass dich gerne vom monatlich vorgegebenen Thema inspirieren und zeig deine Ideen dazu.

Jeden letzten Sonntag im Monat sind die Stoffspielereien zu Gast bei einer anderen Bloggerin. Dabei kommen wir ohne Verlinkungstool aus: Schreib einfach einen Kommentar mit dem Link zu deinem Beitrag im jeweiligen Blogpost der Gastgeberin. Sie fügt die Links im Lauf des Tages in ihren Beitrag ein – ganz persönlich und individuell.

Heute zu Gast mit dem Thema Blumig sind die Stoffspielerein bei 123 Nadelei.


21 Gedanken zu “Stoffspielereien: Blumig-barocke Kreuzstichmotive

  1. Dieses Buch finde auch ich eine ergiebige Quelle für überschaubare Blütenmuster.
    Deine Experimente sind ansprechend schön und spannend. Der Maschenstich wird derzeit auch gerne zum Reparieren dünn geriebener Flächen benutzt. Sicher hat die Verwendung verschieden starker Garne und unterschiedlich starker Drill auch Einfluss auf das Ergebnis.
    Auch ich finde die Motive ergiebig für unterschiedlichste Handarbeitstechniken bis hin zum Patchwork.
    LG Ute

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    1. Es ist sehr spannend alte Motive neu zu entdecken. Natürlich dachte ich erst: Wumm, das sieht recht kompliziert aus, aber mit der Zeit, fand ich ein paar recht schöne Motive…liebe Grüße, Silvia

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  2. Wow, das sind ja edle Socken. Die in Schuhen zu verstecken ist ja Frevel. Ich bin eine Nichtstrickerin und bewundere das sehr. Grüße von Rela

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    1. Gestrickt habe ich sie nicht. Ich gehöre auch zu den Nichtstrickerinnen! Aber abends zum Herumlümmeln am Sofa sind solche Socken echt prima. Oder wenn es richtig kalt ist trage ich sie auch in manchen Stiefeln. Liebe Grüße Silvis

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  3. Ein hilfreicher Einblick in die Stickgeschichte, von Frau Merian kannte ich bisher nur die Naturzeichnungen, nicht jedoch ihre Umsetzungen für Handarbeiten. Den Maschenstich so deckend hinzukriegen ist echt eine Kunst. Das hält mich oft davon ab, etwas aufzusticken. Dir ist das gut gelungen! Auch die Intarsienhäkelei ist bewundernswert. Man unterschätzt das Potential von Häkelarbeiten oft. Da steckt mehr drin als einfache Boshi-Mützen (entschuldige die Anmerkung, falls du Fan davon bist). Herzlichen Dank für eure Spielereien-Kunst und liebe Grüße, Elvira

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    1. Die Häkelarbeit stammt von Sabine und sie wird Dir sehr recht geben, dass Häkeln mehr ist als fröhliche Mützen. Ich kannte die von ihr verwendete Häkeltechnik auch nicht! Liebe Grüße, Silvia

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  4. Wow! Das Musterbuch sieht spannend aus. Vor allem die flächigen Motive faszinieren mich, obwohl ich mir nicht vorstellen kann, Kreuzstich so vollflächig zu sticken. Und danke für die Hintergrundinformationen zu den Frauen!
    Deine augenzwinkernde Interpretation auf den poppig-bunten Socken mag ich sehr! Und auch die einzelne Blume für den Brotkorb. Spannend, dass Sabines Teil gehäkelt ist – es sieht doch aus wie gestrickt? Einen schönen, vielfältigen Beitrag habt ihr uns da heute geschenkt – danke dafür! Liebe Grüße, Gabi

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  5. Eine sehr gelungene Veränderung der Socken! In solch Kreuzstichvorlagen würde ich wohl auch stundenlang blättern. Und das man häkeln kann, so dass es aussieht wie gestrickt, kannte ich noch nicht! Liebe Grüße!

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  6. Hui, so viele Spannendes! Zum einen wusste ich nicht, wie man auf Maschenware kreuzstickt. Dein Ergebnis sieht perfekt aus, als ob du mehrfädig gestrickt hast. Du müsstest die Socken echt in Sandalen tragen, die sind viel zu schön, um sie in Stiefeln zu verstecken.
    Die Musterbücher sind interessant, müssten hier in Nürnberg doch auch in der Bibliothek zu finden sein.
    Und Fair Isle Häkeln kannte ich auch noch nicht. Die Rückseite sieht ja wild aus, so warme Mützen braucht man hier heutzutage nicht mehr.
    Liebe Grüße Christiane

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  7. Deine Stickereien werten die Socken sehr auf. Allerdings eignen sie sich so nur noch um „strümpfig“ rumzulaufen, die schönen Muster in Schuhen zu verstecken und beim Laufen vielleicht noch abzureiben, ist viel zu schade. Es ist spannend zu sehen wie unterschiedlich Kreuzstichmuster gestickt und auf Strick aussehen. Ich sticke komplizierte Muster, die zum einstricken viel zu aufwendig wären, gerne auf Gestricktes. Dafür habe ich mir auch mal das genaue Verhältnis von Breite zu Höhe von genau einer Masche ausgerechnet. Aber wenn es kein perfektes Quadrat werden soll, kann man Kreuzstichmuster einfach 1 : 1 übernehmen.
    Das auch Gehäkeltes wie Strick aussehen kann, sehe ich zum 1.Mal, wieder was dazu gelernt :)). Das eingehäkelte Muster ist toll.
    LG Gabi

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  8. Dein Sammlung alter Stickvorlagen zeigt uns, was man alles zaubern kann, auch heute noch ! Die bestickten Strümpfe sind ein Blickfang, die Farben finde ich nicht zu laut.
    Ein Kreuzstichmotiv als Häkelmuster umzusetzen – gute Idee, beim Strickstich werden die Konturen auch klar. Die gezeigte Häkelprobe verzieht sich, weil stets in die gleiche Richtung gearbeitet wird. Ähnliches habe ich bei petit point Stickerei beonachtet. Jedenfalls machen Euere Experimente Lust auf mehr. Liebe Grüße von Tyche

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    1. Du hast recht! Petit Point Stickerein verziehen sich im Nu und müssen wirklich gut gespannt werden! Danke für den Hinweis mit der gleichen Richtung. Liebe Grüße, Silvia

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  9. Prima*liebe kreuzmuster und solche blumiege bunte socken machen schon gute laune sobald man sie traegt* Sehr intéressant dein beitrag
    Liebe grüsse
    Mo
    Merlecolibri

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  10. Socken zu besticken – das ist ja mal eine Idee! Das heißt aber, ohne Schuhe herumlaufen. Im Haus geht das ja. Die Motive in deinem Stickbuch sind traumhaft; bitte unbedingt zeigen, wenn du noch etwas daraus stickst.
    Eine Häkelmasche, die wie gestrickt aussieht, habe ich nicht gekannt – interessant. Ich dachte zuerst an tunesisches Häkeln …. Ein sehr schönes Motiv auf jeden Fall.
    LG
    Siebensachen

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    1. Da mir das Sticken im Moment gerade recht gut tut, stehen die Chancen gut auf weitere Motive aus dem Buch. Da gab es noch sehr schöne andere Beispiele, aber ich musste die Sockengröße berücksichtigen…Liebe Grüße, Silvia

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  11. Beim Lesen dachte ich ja zuerst, du hast meine ersten Gedanken zu diesem Thema bei den Stoffspielereien niedergeschrieben. Und doch sind wir bei komplett verschiedenen Arbeiten gelandet. Kreuzstichmuster zum verzieren von Gestricktem nehmen, auch eine gute Idee. Wobei die gezeigten Muster schon auch nochmal eine Klasse für sich sind. Obwohl mit einer Nürnberger Tante und nur 45km entfernt davon aufgewachsen habe ich von diesen Musterbüchern noch nie gehört. Welch ein Fundus. Die stilisierte Tulpe auf den Socken in Türkis gefällt mir ja besonders gut. Viel zu schade, die in Schuhen zu verstecken.
    Sabines Häkelei hätte ich auch erstmal für Gestricktes gehalten. Ähnliches Motiv, komplett anderer Ansatz, schön, dieser Vergleich.
    Liebe Grüße, heike

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    1. Für mich war das Thema eben auch mal der erste Zeitpunkt das Buch etwas genauer durchzusehen und zu lesen!!! Ich weiß tatsächlich nicht mal mehr, wie und wo ich es erworben habe. Liebe Grüße, Silvia

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  12. Schöne Einblicke in die Historie. Sehr apart die Socken, ich kenne so etwas bisher nur auf Pullovern.
    Die Häkelvariante sieht echt anstrengend aus und wahrscheinlich schwer zu verarbeiten mit der Rückseite. Toller Versuch.
    Viele Grüße, Karen

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