Aenne Burda: Erinnerungen, Mode & Kolumnen

Jeden Tag fällt mein Blick auf eine wirklich sehr alte Burda, die Sabine dagelassen hat, weil sie diese doppelt hat. Jetzt endlich schreibe ich darüber, genaugenommen über Burda Moden und die starke Frau dahinter: Aenne Burda, und wie ich dies so als Kind erlebt habe. Der Anlass: eigentlich der sehr berührende Zweiteiler, den ich – so wie viele andere Nähfans – vor Weihnachten gesehen habe. Im Advent und jetzt ist Frühling, in unserer schnellen Zeit fast eine Ewigkeit, aber manches hat Bestand: Burda zum Beispiel. Wenn ich Burda höre, denke ich zuerst an Burda Moden, dann an Aussagen wie: „Früher haben wir die Kleider aufgetrennt und danach neue genäht, aber heute ist das ja viel einfacher, jetzt gibt’s die Burda-Schnitte“ (eine Tante meiner Mutter, Bäuerin), oder „Burda-Schnitte passen einfach am besten“ (meine Mutter, nähte fast alles selbst und hat auch andere Schnitte ausprobiert.)

Von Aenne Burda hörte ich als Kind so etwa: Sie war mit einem Verleger verheiratet und wollte unbedingt eine Modezeitung machen, mit der sie dann erfolgreicher wurde als er … Aber was für eine Geschichte, die hinter diesem ungeheuren Erfolg liegt. Wir haben mitgelitten und gefiebert bei dem spannenden, wirklich gut gemachten Film (endlich mal ein Thema für Näh- und Modefans!). Okay, wir hätten etwas weniger Romanze und noch mehr Verlagsgeschichte im zweiten Teil erhofft. Uns allen gefielen nämlich die Nebenfiguren, wie Direktrice, Assistentin, Grafiker, Haushälterin usw. so gut, dass wir auch von deren Leben gerne etwas mehr erfahren hätten. Ein Kompliment an die gesamte Filmcrew!

Meine Tochter Anna findet dieser Film gibt Burda-Moden wieder das ganz persönliche Gesicht der berühmten Gründerin, es ist plötzlich nicht nur der große Burda-Konzern. Mir fielen die vielen Editorials ein, die Aenne Burda für ihr Magazin geschrieben hatte. Und beim Stöbern in den Magazinen fand ich einen Text von Aenne Burda zum Thema Glücklichsein:

… Und so wird es immer sein für alle, die auf das große Glück warten. Es wird ihnen immer etwas dazu fehlen. Indem sie auf „morgen“ hoffen, verrinnt das Leben. „Es wird etwas ganz Besonderes kommen, etwas Wunderbares geschehen, das mich gücklich macht.“ Besser nicht auf das große warten, sondern das kleine Glück wahrnehmen. Die Summe vieler kleiner Dinge macht auch ein großes. Ich träumte, das Leben sei schön. Ich erwachte und fand, das Leben ist PFLICHT. Ich arbeitete und sah, das Leben ist FREUDE. Dieses Zitat habe ich mir zum Wahlspruch genommen, als ich begriff, wie selten das große Glück zu uns kommt.

Dieses (oben kursiv eingefügte) Zitat, Aenne Burdas Wahlspruch, ist auch im Film zu hören, geschrieben hat sie darüber in der Burda vom Februar 1975.

cof

Meine Mutter las die klugen, oft nachdenklichen, auch kritischen Kommentare und Stellungnahmen (auch zu gesellschaftspolitischen Fragen) sehr gerne. Ich las und lese sie auch gelegentlich. Mit all dem Leid und den Konflikten in ihrem Leben erhalten sie plötzlich für mich eine neue Dimension. Immer wieder nimmt sie zu aktuellen Themen Stellung: Jugendalkoholismus, Luxus, Versprechungen, Gleichberechtigung, Gewalt, Trends, manchmal auch über neue, rein technische Veränderungen, Erleichterungen und Verbesserungen (Schnittsysteme und dergleichen) für ihre Leserinnen. In der Septemberausgabe 1971 bemerkt sie in ihrem „Filme machen Mode“ betitelten Artikel:

In diesen Tagen läuft „Love Story“ in unseren Kinos an …. Ob man wahrhaftig, wie die Zeitungen schreiben, in Tränen zerfließt ….. Vielleicht geht es Ihnen wie mir, wenn sie den Film sehen. Sie warten auf Rührung, aber die Tränen kommen nicht. Wenn man obendrein noch weiß, dass in Amerika mit den Eintrittskarten „Tränentücher“ verkauft wurden, bekommt man schon beinahe Minderwertigkeitskomplexe. Nein, mich hat Ali MacGraw nicht zum Zerfließen gebracht. Dabei finde ich sie sehr sympathisch. Aber so viel unterkühlte Liebe läßt mich kalt. Wie herb muss die Gefühlswelt der modernen Menschheit sein, wie versachlicht ihr Denken, wenn schon so karge Liebesbeweise, so abstrakte Liebeserklärungen eine derartige Reaktion hervorrufen. Oder andersherum betrachtet: Wieviel unbewußte Sehnsucht muss es geben, wie viele gute Gefühle müssen brachliegen, wenn bereits eine hauchzarte Andeutung genügt, um eine Sturzflut sentimentaler Resonanzen auszulösen…

Schwingt im obigen Text viel von ihrer Bodenständigkeit und ihrem Realismus mit, zeigen die folgenden Passagen aus ihrer Kolumne  „Aktivität verscheucht Einsamkeit“ aus dem Oktoberheft von 1988 eine andere Seite:

… So kann jeder … sich einen neuen Lebensplan machen … Aber man muss die Initiative selbst ergreifen. Man darf nicht erwarten, dass andere einen aus der Einsamkeit herausholen, sozusagen das „Programm“ machen. Den ersten Schritt muss man selbst tun, auch wenn es schwerfällt. Wer sich gegenüber seinen Mitmenschen verschließt und in der Rolle des Einsamen gefällt, verliert die Kontaktfähigkeit und läßt bewußt keine menschliche Bindung mehr zu …

oder „Erlebnishunger“ aus der Burda März 1995:

Auch wenn die Menschen noch so unterschiedlich sind, eines haben sie fast immer gemeinsam: sie sind erlebnishungrig …. Erlebnisse aller Art werden uns allüberall „zum Kauf“ angeboten. An jeder Straßenecke , in jedem Medium lockt verheißungsvoll das „große  Erlebnis“ … Das Versprechen von „Erlebnis“ allüberall – was steckt dahinter? Natürlich nichts anderes als das unstillbare Bedürfnis nach Unterhaltung, Ablenkung, Kurzweil, Amüsement, das inzwischen schon als ein unveräußerliches Menschenrecht empfunden wird. Die meisten leiden schwer an dem Gefühl, dass alles so langweilig, so eintönig ist, dass das Leben vorübergeht, ohne dass man es genügend genießt – dass man eigentlich doch sehr viel mehr erleben möchte. Also konsumieren sie hektisch möglichst viele „Erlebnisse“ und verhindern das Erleben durch zu viele Eindrücke. Denn wenn wir der Bedeutung des Wortes „Erlebnis“ einmal nachspüren, dann stellt sich heraus, dass es sich dabei nicht etwa nur um einen gute Laune fördernden Spass, sondern um viel mehr handeln sollte. Nämlich um eine Erfahrung, die uns reicher macht…

Diese Frau war eine echte weibliche Identifikatinsfigur, eine Vorreiterin in Sachen Emanzpation und, das finde ich am schönsten, ihr ging es tatsächlich um die Schönheit der Frau, das Weibliche … Was mich in all ihren Kolumnen und Stellungnahmen beeindruckt ist ihr Optimismus. 1983, in der Februarausgabe greift sie das Thema Zukunftsangst auf:

Die meisten von uns erinnern sich wohl noch gut an die Zukunftseuphorie am Ende der sechziger Jahre, als plötzlich überall zu hören war, wie wunderbar die Welt von morgen aussehen wird … Nach Jahren, die uns in jeder Hinsicht Fortschritt gebracht haben, hat eine Fünf-Minuten-vor-Zwölf Stimmung um sich gegriffen …. Die Menschen starren in die Zukunft wie in einen tiefen Abgrund …. Natürlich gibt es viele Gründe, Angst vor der Zukunft zu haben, aber immer gibt es auch Anlass zur Hoffnung. Von Hölderlin gibt es das wunderbare Wort: „Wo aber Gefahr ist, wächst das Rettende auch.“ … Martin Luther hat gesagt, dass er heute noch einen Apfelbaum pflanzen würde, selbst wenn er wüßte, dass morgen die Welt untergeht. Diese Lebensauffassung gefällt mir. Sie läuft auf den Rat hinaus: Ersticke nicht in der Angst, schüttle sie ab und lebe! …

Das ist aber kein Nachruf auf Burda Moden sondern ein „in Erinnerungen schwelgen“. Überraschend sind nämlich nicht nur Aenne Burdas kluge Kolumnen (manches wirkt wie frisch geschrieben), sondern auch wieviele schöne Kleider in den Heften wieder und neu zu entdecken sind, welche Arbeit und Fantasie dahinter steckt. Wir freuen uns auf viele weitere inspirierende Ausgaben mit schönen Modellen zum Nähen.

Burda 9 2003

Damit wir ein paar Foto für diesen Beitrag haben, hat Sabine in ihren Zeitschriften nach richtig alten, besser gesagt frühen Ausgaben gesucht. Ich habe einige chronologisch eingefügt und den Bogen bis ins Jahr 2019 gespannt. Mir macht immer sehr viel Vergnügen, wie man den Wandel der Zeit und ihrer Gesellschaft nicht nur in den modischen Aspekten, Kleidung und Schminke, Frisur, Pose und Art der Fotografie, erkennt, sondern auch in Schrift und Layout, also der Gestaltung des Titelblattes und vor allem in den Modells, die gerade in sind. Lasst euch mitnehmen in ein Stück Modegeschichte.

Was mich noch interessieren würde: Was verbindest Du mit Burda?


15 Gedanken zu “Aenne Burda: Erinnerungen, Mode & Kolumnen

  1. Ich verbinde mit Burda nicht so richtig was. Meine Mutter hat nicht genäht. In Kroatien, dem Herkunftsland, bzw Ex-Jufoslawien war die Burda gefragt, zumindest erinnere ich mich da an was. Den Film fand ich beeindruckend und ich bin über die Zitate, Kommentare, die Du eingefügt hast, erstaunt. Was für eine komplexe Frau und wie vielseitig. Genäht habe ich draus noch nichts, eher eine andere Generation.

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    1. Bei uns daheim gehörte die monatliche Burdazeitung einfach zum Alltag, aber als Kind schaut man zeitungen nach anderen Kriterien an, als es meine nähende Mutter getan hat. Aber so über Aenne Burda habe ich durch den Film auch viele neue Einblicke bekommen (obwohl ich so manche Kolumne gelesen hatte). Liebe Grüße Silvia Franziska

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  2. Ein schöner Post und tol die älteren Ausgeaben der Burda zu sehen. Auch ich gehöre zu denen, die den Zweiteiler natürlich gesehen haben. Für mich war vieles neu. So wusste ich nicht, wie dehr Aenne Burda um ihre Modezeitschrift kämpfen musste. Was war das für eine tolle Frau.
    Heute gehöre ich zu denen, die auch gerne nach Burdaschnitten nähen. Mir passen sie gut.

    Gruß Marion

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  3. Wie Aenne Burda so viele Hindernusse und Widrigkeiten überwindet, hat mich ebenfalls sehr, sehr beeindruckt. Jetzt verstehe ich auch, warum sie für meine Mutter so eine Art Vorbild war. Die Passform der Burdaschnitte ist sehr verlässlich. Nähe ich auch gern. Liebe Grüße Silvia

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  4. Ich habe mit Burda nähen gelernt. Was war sie doch für eine taffe und tolle Frau. Vielen Dank für den tollen Post. Lieben Gruß Sylvia

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  5. Du fragst, was ich mit Burda verbinde:
    Als ich jung war: Die Möglichkeit schön und praktisch angezogen zu sein, ohne viel Geld ausgeben zu müssen. Nähen zu lernen, ohne Nähkursleiterin. Zu Beginn jedweder Ferien einen Stapel burdas zu nehmen und mich glücklich zu träumen, welche Kleider ich gerne hätte. Jeder neu erschienenen burda entgegenzufiebern und sich mit dem Durchblättern nach einer schwierigen Arbeit zu belohnen.
    Später: Tolle bürotaugliche Umstandsmode, dutzende Kinderhosen und Shirts, wobei ich bei Kinderkleidung auch viel aus der ottobre genäht habe…
    Heute: Gute Passform, zumindest bei schlanken Personen, handwerklich gute Verarbeitung, die Arbeitsanleitungen sind manchmal nicht einfach zu verstehen ; ), aber in der Regel ohne gravierende Fehler.
    Greift modische Trends gut auf, ist meistens der Zeit voraus. Immer gut angezogen sein können.
    Den Zweiteiler über die Person Aenne Burda fand ich auch klasse; sie hat sich trotz vieler Schwierigkeiten nicht unterkriegen lassen und ein selbstbestimmtes Leben geführt. Das war und ist nicht einfach.
    Vielen Dank für deine/euren vielen schönen Posts!
    LG Ellisschneiderfee

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  6. Ein interessanter Beitrag!
    Meine erste Begegnung mit einer Burdazeitschrift war in meiner Jugend (ca. 2000), als ich eine Freundin besuchte, die über ein Kleid „aus der Burda“ berichtete und vollkommen fassungslos war, dass ich überhaupt keine Ahnung hatte, wovon sie sprach.
    Das weckte dann irgendwie mein Interesse.
    Grüße Christina

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  7. Danke schön für diesen tollen Beitrag! Ich habe vor fünf Jahren mit dem Nähen angefangen und ich weiß noch, was für ein tolles Gefühl es war, zum ersten Mal eine Burda-Zeitschrift zu kaufen. In der Sowjetunion, wo ich geboren bin, waren die Zeitschriften legendär: schwer zu beschaffen, sehr begehrt und jede Frau hat wenigstens einmal im Leben etwas daraus genäht. Sogar meine Mama, der das Nähen so gar nicht liegt, und die, glaub ich, nicht einmal mehr weiß, wie man eine Nähmaschine einschaltet ))
    Aber auch noch heute sind die Burda-Zeitschriften etwas besonderes, vor allem im Vergleich zum Schnittmustermarkt der anderen Kontinente: die großen Big 4 der Schnittmuster Hersteller sind teuer und ich habe viele unzufriedene Stimmen über die Passform gelesen. Grundsätzlich sind Einzelschnitte natürlich viel teurer und empfinde es als Privileg, jeden Monat eine Zeitschrift mit mindestens 10 gut passenden, trendigen und sehr unterschiedlichen Schnittmustern für wenig Geld in den Händen halten zu können. Der Großteil meiner Projekte sind Burda-Schnitte.
    Liebe Grüße
    Juli

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    1. Schön gesagt, ich kann mich auch noch gut erinnern wie die Meldung Burda gibt es auch in der , damaligen, Sowjetunion durch die Presse ging. Danke für deinen persönlichen Einblick und ich gebe dir recht: es ist ein Privileg so gute Schnitte zu erhalten. Liebe Grüße Silvia

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  8. Vielen herzlichen Dank für diese Blog, denn ich liebe die Schnitte der alten Burdahefte, insbesondere jener aus den 1950-iger bis späten 1970-iger Jahren mit ihrer wunderbaren Eleganz (Mit jenen aus den 1980-iger/1990-igern kann ich allerdings weniger anfangen, als das Erscheinungsbild der Frauen klobig, breit und voluminös wurde und mehr einem Trichter oder Rechteck glich).
    Dank meiner Mutter, einem ausprochenen Burda-Fan, bin ich nun im Besitz von Jahrzehnten an Burda-Ausgaben, die ich sehr schätze.
    Weiterhin viel Erfolg mit dem Blog, Sabien

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    1. Freut mich, dass dir der Beitrag gefallen hat. Meine Tochter Sabine ist auch ein Fan der alten Schnitte, eben weil sie so elegant und raffiniert sind. Ich selber entdecke in alten Ausgaben immer wieder Schönes zum Nähen. Eine echte Fundgrube ist so eine Zeitschriftensammlung, viel Freude damit. Liebe Grüße Silvia.

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