Der Webermarkt in Haslach 2023

Dieses Jahr war die Ausstellung im Kirchturm unsere größte Neuentdeckung. Wir, das waren Sabine, Lisbeth, eine Schweizer Freundin von ihr, und ich. Der Webermarkt punktet ja nicht nur mit seinen hochwertigen Handwerkständen sondern ebenfalls mit einem, wie immer, gelungenen Rahmenprogramm, diesmal gibt es zwei Sonderausstellungen. Da wir bei unserem letzten Besuch zu müde waren um die Ausstellung im Haslacher Kirchturm zu besichtigen, setzten wir diesen Programmpunkt an den Beginn unseres Tages und wir waren alle sehr froh darüber. Der Besuch des Turms alleine ist empfehlenswert: ein wehrhaftes Gemäuer, überraschend groß in seinem Inneren, meterdicke Mauern. Interessant ist auch seine Geschichte:

Der Markt Haslach und seine Wehranlage waren Zankapfel zwischen den damals sehr mächtigen Rosenbergern aus Südböhmen und den Bischöfen von Passau bzw. dem Landesherrn.

Die Burg wurde von Peter von Rosenberg erbaut. In einer Rückkaufsurkunde vom 11. September 1341 verpflichtete sich der Rosenberger gegen dem Bischof Albert von Passau, „daz er di vest, di er in den Markcht gepawt hat, niderlegen schol“. Ob dies erfolgte, ist ungewiss, der Turm blieb jedenfalls stehen. Am 13. Juli 1487 befahl Kaiser Friedrich III. dem Wok von Rosenberg, die Bauarbeiten an der Befestigung der Marktes Haslach und der Burg einzustellen, da er dazu keine Erlaubnis habe und keine Notwendigkeit bestünde. 1599 musste Peter Wok von Rosenberg Haslach an den Passauer Bischof Leopold V. verkaufen.

Von der einstigen Burg steht noch der mächtige, 63Meter hohe Turm, der heute als (fast überproportional massiver) Kirchturm der katholischen Pfarrkirche hl. Nikolaus dient. Der Turm wurde um 1906/07 neu gestaltet, bis 1906 hatte er einen geschlossenen Wehrgang, heute eine wunderschöne, offene Galerie, die einen herrlichen Ausblick bietet. Alleine das lohnt den Aufstieg über die vielen Holz- und Steinstufen.

Der Turm besitzt sechs Geschosse, die unteren vier sind mit Tonnengewölben ausgestattet. Der Turm besaß einen Hocheinstieg mit einer Zugbrücke, den man noch sehen kann. Der heutigen Eingang ist ebenerdig. Das Erdgeschoss wurde als Gefängnis benutzt, die oberen Geschoße bis 1960 (!!!)als Wohnung für eine sechsköpfige Familie ohne Fließ- und Abwasser. Heute dient der Turm als ganz besonderer Ausstellungsraum und hier werden zur Zeit Jaquardgewebe von Esther Van Schuylenbergh präsentiert.


Beyond Structure. The textile view of Esther Van Schuylenbergh

Die junge belgische Jacquardweberin Esther Van Schuylenbergh hat sich bei Ihren Aufenthalten in Haslach intensiv mit der Vielfalt primärer textiler Strukturen auseinandergesetzt und sich u.a. von den Objekten aus der Sammlung Flügel zu eigenen Kreationen „beflügeln“ lassen. Auf dem Jacquardwebstuhl im Textilen Zentrum Haslach entstanden raffinierte, künstlerische Unikate, die von Flecht- und Webtechniken inspiriert sind. Dazu verwendete sie Materialien die bei Nachbehandlung mit Hitze unterschiedlich schrumpften und dreidimensionale Gewebe entstehen ließen. Im Kontrast zu den Mauerstrukturen im Turm und den kahlen Räumen entstand mit den, in sehr subtilen zarten Farben gehaltenen, modernen Gewebe eine ganz besondere Atmosphäre. Unbedingt sehenswert für Textilfans.

Textilkunstausstellung im Haslacher Kirchturm
Dauer: Fr, 21. Juli – Sa, 12. August 2023
Öffnungszeiten: Do – Sa, 16 – 19 Uhr

Nach diesem wunderschönen Einstieg folgte erst einmal ein ausgiebiger Marktbummel. Mich trieb es natürlich zu den Büchern der Buchhandlung und Antiquariat Held. Sabine ging vor allem in der Faserzone auf die Jagd nach schöner Wolle für ihre neuen Häkelprojekte (und den ganzen Tag mit der Handykamera auf die Jagd nach vierbeinigen Besuchern…). Gemeinsam bewunderten und besprachen wir die vielen schönen, genähten, gewebten, gefilzten Arbeiten der AusstellerInnen, bewunderten ihren Einfallsreichtum und ihre Kreativität. Lisbeth hatte in weiser Voraussicht einen Overall mitgebracht und machte sich auf die Suche nach schönen Knöpfen.

Zwischendurch war ein Besuch im Webereimuseum angesagt. Der ließ uns einerseits wieder Staunen, wo und wie überall textile Materialien und textile Techniken (wie Drehen, Verschlingen, Verweben) in Architektur, Industrie oder Medizin verwendet werden. Andererseits wurden wir sehr nachdenklich was unseren Umgang mit Textilien betrifft. Die im Museum gezeigten Zahlen zu unserer textilen Verschwendung erinnerte Lisbeth an eine Dokumentation, die sie vor kurzem gesehen hatte. Es ging um den Weg der Altkleider und unserer naiven Vorstellung „ich gebe meine Altkleider in die Sammelstelle, damit die anderen Armen was zum Anziehen haben und alles ist gut“. In dem Bericht wurde gezeigt wie tonnenweise Alttextilien in Afrika am Strand liegen bleiben, nachdem alle möglichen Sortierungen in den Herkunftsländern und in Afrika stattgefunden hatten. Keiner kann die Textilien mehr brauchen. Eine andere Museumsbesucherin, die zufällig mithörte, erzählte daraufhin von einer Bekannten, die in der Textilsammlung arbeite. Diese berichtete, dass all diese Kleidungsstücke mit aufgenähten Pailletten oder besonderen Kunsstoffprints nur zum Wegwerfen taugen, da sie sich nicht aufbereiten oder weiterverarbeiten lassen und „das sei der größte Teil des Sammelguts“. Also: Aufarbeiten, Umarbeiten und tragen „bis es mir vom Leibe fällt“.

Wunderschöne Musterbücher und Beispiele textiler Arbeiten gab es in der sogenannten Schatzkammer des Webereimuseums zu bewundern. Sabine versuchte sich in der Musterweberei am Jaquardwebstuhl und war wie immer äußerst geschickt darin. Da ist dann natürlich die Verlockung vorhanden mit dem Jacquardweben anzufangen.


Nach dem Mittagsessen und einer ersten Einkaufsrunde trieb uns ein überraschender Regenguss in die zweite Sonderausstellung:

beFLÜGELt

In der Ausstellung beFLÜGELt wird die Sammlung von Marianne Flügel, einer Textildidaktikerin aus Köln, präsentiert. Sie reiste ihr Leben lang, sammelte diverse textile Alltagsgegenstände in verschiedensten primären Techniken, analysierte sie und arbeitete sie teilweise nach. Es handelt sich dabei um meist sehr archaische Techniken („primäre Textiltechniken“), die schon vor der Erfindung des Webens angewandt wurden und meist ohne größeres technisches Equipment durchgeführt werden können. Die wunderbare, kleine, feine Sammlung an ethnografischen Proben und didaktischen Aufbereitungen wurde dem Textilen Zentrum Haslach übergeben und soll 2023 erstmals in größerem Umfang ausgestellt werden. Sie dokumentiert einen „textilen Blick“ auf die Welt und würdigt die vielen, meist unbeachteten Kleinigkeiten, die oft raffiniert gemacht sind und tatsächlich „beflügeln“ können, wenn man sich mit ihren inneren Strukturen und ihrer besonderen Ästhetik beschäftigt.

Sonderausstellungsraum des Textilen Zentrums Haslach
Dauer: Di, 18. Juli 2023 – So, 7. Jänner 2024
Juli – Oktober: Di – So, 10 – 16 Uhr
November – Jänner: Do – So, 10 – 16 Uhr

Schön an dieser Ausstellung waren nicht nur die unzähligen wunderschönen Sammelstücke und Arbeitsproben sondern auch die Videopräsentationen von einigen Techniken, die oft nur mit bloßen Händen, Fingern oder einen einzelnen Stock gemacht werden konnten. Sie faszinierten uns so, dass wir gemeinsam, wieder zuhause, den Sonntag damit verbrachten, der einen oder anderen Technik (z.B. die Vierfache Luftmaschenkette) selber auf die Schliche zu kommen.

4fädig Luftmaschen Fingerhäkeln

Viele Eindrücke, Inspirationen, liebenswerte Begegnungen und Gespräche (ich freue mich noch immer, dass ich zwei unserer Blogleserinnen persönlich kennenlernen durfte! Sozusagen auch das erste Mal erkannt werden. Liebe Grüsse an euch) behalten wir vom diesjährigen Webermarkt in Erinnerung.

2024 findet kein Webermarkt statt, aber für 2025 ist das letzte Juliwochenende schon reserviert.



10 Gedanken zu “Der Webermarkt in Haslach 2023

  1. Bzgl. „… zu muede ….“ : ich bin ja immer hochbegeistert, wenn’s irgendwo – zur Auswahl und meist (etwas) billiger sog. 2-Tages-Eintritts-Tickets gibt.
    Es wird einfach meist sooo viel in nur EINE Veranstaltung gepfercht, dass ich ansonsten total ueberwaeltigt mit nix von dort herauskomme /..\ /..\

    Bzgl. Stoff-Recycling aka “ …all diese Kleidungsstücke mit aufgenähten Pailletten…“:
    Ich mag auch schon gar keine Klamotten mehr kaufen, welche das Produkt-Label in Form eines ‚Gummi-Druckes‘ fett(est!) im Rueckenteil (selbst wenn ‚charmant‘ wenigstens innen?) des Bekleidungsstueckes haben.
    Gruende:
    – Nach dem Waschen wirft das Zeug meist schon die ersten Blasen (= von JE herauswaschen ohnehin keine Spur; meist nicht einmal mit ‚Spezial-Aufwand‘ ).
    – Der Traeger waehlt sich zwar eine angenehm passende Groesse, welche gut sitzt, ABER ‚lesetechnisch‘ leider keine ’schoene Groesse‘ darstellt: fuer sich und seine Umwelt dadurch aber die Aussen-Optik wirklich trickreich, aehem, ‚verangenehmert‘ ! Soweit so gut, wenn dann nicht ausgerechnet DIEse verdammten Drucke im Ruecken TOLLST lesbar – auch von aussen = durch das Bekleidungsstueck durch (!!!) – aaalles an die ‚lieben F(r)einde‘ verraten wuerden.
    Ne, ich bin kuriert: sogar ein ‚Billigstdorfer-Tshirt‘ faellt mir mittlerweile INSTANT aus den Haenden (= wird abgelehnt) wenn ich DIEse Art von Labelung sehe; egal wie dringend ich schnell mal einen ‚billigen Kleidungs-Farbtupfen‘ fuer Egalwas brauchen wuerde!

    Wie man – in hiesigem Falle wohl kuerzlich passiert – einem auf einem mehrtaegigen Markt anbietendem sog. ‚Neu-Mode-Label‘ – in der Nacht und ’nicht nur Einzelstuecke‘ – ausgerechnet Bekleidungsstuecke klauen MAG, welche ohnehin deren Namen fast groesser als das Bekleidungsstueck selbst (!) ueber die ganze Front aufgedruckt haben und dafuer dann keinerlei Rechnung vorweisen koennen, ist mir ein (zu) grosses Raetsel (an Dummheit?!) ! Ich mag schon weder ‚Krokodile noch Pferdchens & Co. ‚ und/oder sonstige AUSSEN-Werbung an meinen Klamotten. Btw. war DIES der Start fuer meine eigene Recycling-Naeh-Laufbahn = auch so kann man sich als ‚In-Label‘ wohl Kunden weg-zuechten, selbst wenn die Produkt-Qualitaet dieser Firmen wenigstens haeufig (zumindest frueher?) etwas besser ist?

    Uebrigends und vielleicht fuer die ‚Aviden-Woll-Bastler‘ auch interessant:
    – Kumihimo-Technik
    – tunesische Haekelei
    – Gabel-Stricken

    Liebe Gruesse,
    G

    Danke f. den tollen Beitrag hier; er ist wirklich befluegelnd in mehrfacher Art. Ausserdem sogar historisch, aehem, ‚auffrischend‘: kommt einem sogar heutzutage gar Einiges (sehr) ‚bekannt vor‘ ;-) :-D
    D.h., die alte Aussage: „… nur die ‚Kostuemierung‘ aendert sich in den wohl staendigen Wiederholungen menschl. (aeh, ‚Toll-)Aktionen‘ !“
    Haben tut die Welt DAvon derzeit sogar in ’seeehr grossen Stile(n)‘ ja genuegend ^^!

    Like

    1. Den Haslachern muss man hoch anrechnen: der Markt hat keinen Eintritt, die Ausstellungen bewegen sich bei harmlosen 3-6Euro. Aber die Aufnahmefähigkeit von uns ist eben begrenzt. Bei all den Gummiaufdrucken bin ich voll und ganz bei dir, es fühlt sich innerhalb kürzester Zeit schrecklich an! Danke für deinen Kommentar, liebe Grüße, Silvia
      PS. Auf deine genannten Techniken komme ich nochmals zurück…

      Like

  2. Vielen Dank für den ausführlichen Bericht zum Webermarkt. Ich bin eine eurer „stillen“ Blogleserinnen und habe am Samstag auch nach euch Ausschau gehalten, da ich von früheren Posts wusste, dass ihr meistens dort seid. Bin euch leider nicht begegnet, vielleicht ja das nächste Mal.
    Ich lese euren Blog schon lange und finde ihn sehr abwechslungsreich. Vielen Dank dafür.
    Liebe Grüße, Eva

    Like

      1. Ja, das machen wir. Würde mich freuen! Falls ihr zB. am Schneidereimarkt in Wien seid geht das auch.
        Liebe Grüße, Eva

        Like

  3. Leider auch dieses Jahr wieder nicht machbar, zum Webermarkt zu fahren. Dabei war es 2019 so toll mit euch dort herumzustreifen (ist das echt schon wieder 4 Jahre her?). Das ganze Wochenende mit und bei euch war überhaupt toll. Nächstes Jahr wollte ich dann wirklich fix freihalten für den Webermarkt, und lese soeben enttäuscht bei euch, dass der nächste erst wieder in 2 Jahren stattfinden soll. Danke also für den ausführlichen Bericht und hoffentlich bis in spätestens 2 Jahren am Webermarkt :)
    Liebe Grüße von heike aus Graz

    Like

    1. Ja, wir waren auch ganz entsetzt, als wir hörten , dass nächstes jahr kein markt ist. Aber der Termin 2025 wird schon beworben, also vielleicht bis dahin? Liebe Grüße, Silvia

      Like

  4. Oooh, die Ausstellungen klingen so toll! Gut, dass die eine noch bis Jänner geht, das könnte ich vielleicht sogar noch irgendwie unterbringen… Wo ein Wille, da ein Weg, nicht wahr? Ich freue mich auf ein Wiedersehen – schade, dass nicht nächstes Jahr. Haben die Veranstalter Gründe für die Pause genannt? Liebe Grüße, Gabi

    Like

Kommentar verfassen.

Diese Seite verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden..