Optische Täuschungen • Eine Rüschenbluse für „Künstlerinnen“

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Bei Ikea gibt es bekanntlich eine Fülle von durchaus interessanten Stoffen – und das zu einem (verführerisch) günstigen Preis, sofern man sich mit den typisch skandinavischen Mustern anfreunden kann. Wie auch immer, dieser Stoff hat mich neugierig gemacht: Er spielt mit optischen Täuschungen. Für mich war die aufregende Herausforderung: Wie setze ich so ein Muster bei einem Kleidungsstück ein? Wie verteilt es sich überhaupt auf den Körperproportionen? Wie wirkt es? Kann man damit der Figur schmeicheln? Oder irritiert das Muster? Um all das auszuprobieren habe ich eine simple Bluse nach Schemaschnitt begonnen. Das heißt: Ein Rechteck für vorne, eines für hinten, das war notwendig um das Muster genau platzieren zu können. Alles andere würde sich nach und nach ergeben.

Da man als Frau ja bekanntlich nicht als Fass durch die Gegend laufen möchte, sondern zumindest optisch eine gute Figur wünscht, stand schnell fest: Die großen Rauten kommen nach oben. Die nächsten Überlegungen galten dem Halsausschnitt. Zuallererst fertigte ich den Schlitz, er hat einen schwarzen Beleg aus Futterstoff, der als Kontur vorne sichtbar ist, daher schließt er auch sehr schön. Innen blieben 3cm breite Belege erhalten, sie sind mit einer Steppnaht fixiert.

Noch mehr Schwarz als beruhigender Akzent und um dem Auge einen Ruhepol zu geben, wäre eine gute Ergänzung, aber wie und wo? Als erste Möglichkeit bot sich natürlich der Kragen an: sehr streng wirkt das Schwarz als Stehkragen- (es erinnert ein bißchen an ein Sportdress für einen Jockey), der runde Bubikragen war etwas langweilig, die Doppelrüsche zu üppig.

Schließlich entschied ich mich für die Rüschen mit schwarzer Einfassung, etwas Haute Couture mäßig und, zugegeben auffällig, aber ein sehr schmeichelnder Rahmen für das Gesicht. Sie sind mit einem Schrägband aus Futter (1cm Breite bleibt unten und oben sichtbar) eingefasst. Die gesamte fertige Rüsche ist 7cm breit. Sie entstand aus einem ca. 130cm langem Stoffstreifen, die vorderen Kragenenden habe ich ebenfalls, in Falten gelegt, an den Halsausschnitt genäht, es entsteht so ein runder Abschluss. Die Rüsche wird zuerst an den Ausschnitt genäht und dann mit einem Schrägband innen am versäubert.

Schlitz und Kragen waren fertig aber, nachdem ich den Großteil des Reststoffes gleich einmal irgendwo vergraben hatte, wußte ich nicht recht wie weitermachen. Aus einem schmalen Stoffstreifen (7cm breit, gerade geschnitten) entstanden noch kleine Kurzärmel und das Projekt blieb liegen. Vor allem weil ich mich wegen der Ärmel nicht recht entscheiden konnte. Im Zuge meiner großen Aufräumaktion, die sich jetzt schon über einen ziemlich langen Zeitraum hinzieht und endlich auch das Nähzimmer (vor dem ich mich ständig gedrückt habe) erfasst hat, entdeckte ich die Bluse neu. Ich habe mir die Ufos vorgenommen, um zu entscheiden ob das eine oder andere noch eine Chance bekommen sollte, oder ob es schlicht ein hoffnungsloser Fall wäre. Da kam ich auf die Idee, die Bluse mit einer schwarzen Schärpe aus Rohseide zu ergänzen.

Als ich so sinnierend vor dem Spiegel stand, sagte mein Mann: „Aber die ist doch hübsch, die kannst du zur nächsten Ausstellungseröffnung anziehen …“ Dazu fügte er natürlich eine typisch spöttische Bemerkung über mein künstlerisches Aussehen hinzu, so in etwa man würde dann sofort die Künstlerin erkennen … Es gibt da immer so eine schwelende Unstimmigkeit ob jemand ein richtiger Künstler (z.B. Maler, Bildhauer oder Literat) ist, der natürlich ernstgenommen sein will, oder ob jemand nur ein Hobby „Künstler“ ist, oder „auf Künstler“ macht, ob er akademisch geschult ist oder nicht, und wo fängt Kunst schließlich an und hört auf? Wobei man sogar im etablierten Kunstbetrieb nicht sagen kann, was man von zeitgenössischer Kunst überhaupt halten soll. Schwer zu definieren.

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Aber um auf Ausstellungseröffnungen sprich Vernissagen zurückzukommen. Es ist ja fast wie bei dieser berühmten Übereinstimmung von Herr und Hund, wenn man, zum Beispiel, bei einer Gruppenausstellung die Bekleidungsstile der Einzelnen mit ihrem künstlerischen Werk vergleicht: Die Malerin mit den Pop-Art Bildern geht im Künstler-Schlabberlook: Leggins, Kleid drüber, wilde Frisur, Jesus-Schlapfen (das alles mit 50+) und stark farbig, sprich bunt und knallig. Die Keramikerin ist fast so unsichtbar und zerbrechlich wie ihre zarten Skulpturen. Der Traditionalist erscheint im karierten Hemd, der gegenstandslose Maler in ebensolchen undefinierbaren grauen Farben wie sie seine Bilder haben. Der Avantgardist in Anzug mit T-Shirt drunter oder „Intellektuellen“ -Schwarz (bevorzugt Rollkragenpullover) … Ich erzähle natürlich von einer Ausstellung im kleinen Provinzstädtchen.

Da ich so ein Spring-ins-Feld bin, der seine gestalterische Freude  im Augenblick fast ausschließlich im textilen Bereich austobt, anstatt sich der hohen Kunst zu widmen, gibt es da halt ab und an ein wenig – na sagen wir – wohlwollende Spötteleien. Mittlerweile kennt er mich ja schon, und ist nicht mehr so leicht verwundert oder irritiert, mein Mann.

Ich habe die Bluse tatsächlich getragen auf dieser Eröffnung. Kombiniert mit einer schwarzen Hose und Strickweste war ich hervorragend gekleidet und habe das Publikum ganz sicher optisch bereichert. Leider fand ich niemanden, der sich mit mir ernsthaft über die Bilder unterhalten wollte, abgesehen von jenen, die vor Bewunderung des, zugegeben enormen technischen Könnens, auf die Knie fielen. Allerdings hat der junge Mann sehr rasant in den Farbtopf gegriffen, Disneyland hätte seine Freude daran. Daher habe ich mich zu der ruhigen Besuchergruppe, die das Büffet umlagerte, gesellt.


Fazit: Schemaschnitte machen mir einfach am meisten Spaß, es gibt soviele Möglichkeiten, alles ist offen. Die Bluse sieht sehr effektvoll aus und ist dabei angenehm zu tragen

Schnitt: Schema: Ausgangspunkt ist der 1/2 Hüftumfang + 2-3cm (genaueres erfahrt ihr bei dem Beitrag „Himmel, Flieder Ozean – Blusen in Blauschattierungen„) Seitlich hat die Bluse 8cm tiefe Schlitze.

Stoff: Baumwollstoff von Ikea, Materialverbrauch 2x die Länge

Verlinkt zu MeMadeMittwoch, HoT, AWS, DDD, SewLaLa, CreateInAustria, WOF.

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11 Gedanken zu “Optische Täuschungen • Eine Rüschenbluse für „Künstlerinnen“

  1. wow! ein Ikea-Stoff als Bluse, und noch so toll dazu! wunderbare Umsetzung!
    ich bin da leider talentfrei, daher meine aufrichtige Bewunderung!
    liebe Grüße
    Manu

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    1. Danke, ich probiere das meist an der Puppe aus, zeichnen und umsetzen funktioniert nicht (das wäre fast langweilig), hinhalten, raffen anschauen, wirklich das macht Spass ,probier es mal. Liebe Grüße Silvia

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  2. Ich habe mich auch als Künstlerin wunderbar in Deinem Text wiedergefunden. Die Bluse ist toll und Deine Beschreibung zum fertigen Stück sehr interessant. Ich glaube, diese Unterscheidung von akademisch oder ‚hobbymäßiger‘ Kunst ist besonders in unseren deutschsprachigen Ländern ausgeprägt.
    Liebe Grüße,
    Julia

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  3. Wow eine tolle Bluse! Eine große Entdeckung ist der Stoff, ich war so lange nicht mehr einkaufen ;-) Deine Überlegungen zu Künstlern und deren Kleidungsstil gefallen mir sehr, vielen Dank dafür. Für welche Gelegenheit auch immer mit Deiner Bluse ist Du stets bestens angezogen, die Schärpe ist eine tolle Ergänzung! LG Kuestensocke

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    1. Ich hatte ursprünglich nur einen relativ trockenen Text, aber dann fiel mir eben rund um „Künstler“ einiges mehr ein, schön wenn es dich auch unterhalten hat. Solche Stoffe finde ich immer wieder aufregend- und darum muss man bisweilen eben den einen oder anderen kaufen und auf Lager legen. Liebe Grüße Silvia

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  4. Wieder so ein wunderbar gelungenes Stoff- und Stil-Experiment von Dir. Einfach auf die Puppe rauf und losdrapiert. Das sollte ich vielleicht auch öfter mal machen – vielleicht kann ich auf diese Weise auch einige „Stoffleichen“ wiederbeleben. Du machst mir jedenfalls Mut, denn die Bluse finde ich sehr schön und besonders. Passt sehr gut zu Dir.
    Liebe Grüße von Ina

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    1. Gerade für Stoffleichen (Ich finde den Begriff herrlich) ist das eine gute Möglichkeit, glaube ich. Schon alleine weil man vielleicht mehr Mut hat neue Wege zu beschreiten- Liebe Grüße Silvia

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  5. Die Bluse ist ganz toll! Gefällt mir super.
    Ich bedauere es immer noch, dass ich den Stoff nicht gekauft habe. Oder gibt es den etwa wieder?
    Vor einiger Zeit gab es auch mal verschiedene Coupons mit sehr weich fallenden Stoffen. Da war ich auch zu unentschieden. Aber es gab einige Nähwerke daraus zu bestaunen. Ich denke das war 2016 oder 2017 irgendwann..?
    Als Bluse wirkt das Muster jedenfalls sehr gut und steht Dir auch super.
    Über Deine Beschreibung der Künstlerszene musste ich sehr schmunzeln. Solche Abstufungen scheint es in jeder Szene zu geben…schon verwunderlich diese Eigenart. Menschen halt… 😜

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    1. Der Stoffkauf ist schon einige Zeit her, so oft komme ich nicht zu Ikea, am ehesten noch wenn ich bei Sabine bin. Freut mich übrigens, dass du was zum Schmunzeln hattest. Liebe Grüße Silvia

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